Aktivrenten-Pläne: Die Regierung hat die Selbstständigen vergessen

Die Pläne zur Einführung einer Aktivrente, die nur für Angestellte gelten soll, sorgen bei AGEV-Mitgliedern für Empörung. Christoph Steinhauer, selbstständiger AGEV-Redakteur, kommentiert die Antwort des Finanzministeriums auf die AGEV-Stellungnahme zum Gesetzentwurf.

Die Bundesregierung feiert ihren Entwurf des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Arbeitnehmern im Rentenalter – die sogenannte „Aktivrente“ – als großen Wurf gegen den Fachkräftemangel: 2.000 Euro im Monat steuerfrei bei einer unselbstständigen Tätigkeit.. Im Entwurf heißt es wörtlich, Selbstständige hingegen seien „nicht förderwürdig, da sie ohnehin weiterarbeiten“.

Wenn ich diese Begründung lese, frage ich mich, ob sich in der Koalition überhaupt jemand ernsthaft mit der Realität der Selbstständigen beschäftigt hat. Meine Zweifel wurden bekräftigt, als ich die Antwort des Finanzministeriums auf die AGEV-Stellungnahme an Minister Lars Klingbeil las.

Worum geht’s? AGEV-Stellungnahme vom 9. Oktober

In dem Schreiben hatte der Verband mit Nachdruck die Erweiterung des Aktivrente-Entwurfs auf Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit und Gewerbebetrieb nach Erreichen der Regelaltersgrenze gefordert. Die Argumentationslinie:

1. Fachkräftemangel betrifft alle Erwerbsformen,

2. Ungleichbehandlung untergräbt die Motivation von selbstständig tätigen Menschen, die genau diese Facharbeit leisten – und beschleunigt nur den Trend einer dramatisch sinkenden Selbstständigenquote in Deutschland.

3. Steuerrechtliche Gleichbehandlung ist geboten, unabhängig davon, ob jemand Lohn oder eine sonstige Vergütung bezieht. Alles andere verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

„Wenn die Bundesregierung glaubwürdig den Arbeits- und Fachkräftemangel bekämpfen will, darf sie nicht Millionen hochqualifizierte Selbstständige von der Aktivrente ausschließen“, steht im Brief. Andernfalls werde das Ziel, ‚Erfahrungswissen länger im Erwerbsleben zu halten‘ ins Gegenteil verkehrt: Die Falschen würden vergrault.

Antwort aus dem Finanzministerium vom 28. Oktober

Das Antwortschreiben aus dem Finanzministerium lautet verkürzt „Wir erkennen Ihre Leistung an … aber das ändert nichts.“ Die Aktivrente solle primär dort ansetzen, „wo der größte Förderbedarf besteht“, nämlich bei Angestellten, begründet das Ministerium den Ausschluss der Selbstständigen. Heißt das, wer sein Leben lang aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt bestritten, Innovationen geschaffen, Arbeitsplätze ermöglicht, in vielen Branchen Lücken gefüllt hat und mit 70 so weitermacht, hat keinen „Förderbedarf“? Das Ministerium verweist zudem auf die „derzeitige Haushaltslage“, angesichts derer „eine Stärkung der Sozialkassen geboten sei“.

Auch hier zeigt sich ein Denkfehler im aktuellen Aktivrenten-Gesetz. Denn viele Selbstständige zahlen sehr wohl in die Sozialkassen ein, indem sie pflicht- oder freiwillig gesetzlich krankenversichert sind und dabei auch den Arbeitgeberanteil zahlen. Eine ganze Reihe von Selbstständigen ist zudem gesetzlich rentenversicherungspflichtig, wie etwa freiberufliche Lehrer und Erzieher, im Gesundheitssektor Tätige oder Künstler und Publizisten. Berufsständische Pflichtversicherungen wie Kammern und Versorgungswerke sind ebenfalls dem Sozialkassensystem zuzurechnen.

Es stimmt also schlicht nicht, Selbstständige stünden völlig außerhalb des Solidarsystems.

Das Finanzministerium verspricht, 2029 zu prüfen, „ob durch Einbeziehung von Selbständigen darüber hinaus zusätzliche Wachstumsimpulse erschlossen werden können“. Ich fürchte, dass bis dahin womöglich viele durch überbordende Bürokratie, Scheinselbstständigkeits-Risiko und Aktivrentenausschluss demotivierte Selbstständige ihre Tätigkeit aufgegeben haben.

Nachdenklich macht mich auch folgender Satz: „Im Übrigen können ehemals Selbstständige die Aktivrente in Anspruch nehmen, sofern sie die im Gesetzentwurf genannten Voraussetzungen erfüllen“. Diese Antwort geht an der Realität von Menschen vorbei, die die Erwerbsform Selbstständigkeit hart erarbeitet und trotz aller Hürden bewusst gewählt haben. Will man die Selbstständigkeit bewusst sabotieren? Dieser Schluss drängt sich geradezu auf.

Die schiefe Logik des Gesetzes

Die Logik des Gesetzes hinkt an vielen Stellen: Einkommen aus selbstständiger Arbeit gilt nach dem Referentenentwurf nicht als „aktives Einkommen“. Ist damit gemeint, Selbstständige arbeiten passiv? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV), deren ausführliche Stellungnahme die AGEV mitunterzeichnet hat, formuliert dazu treffend: „Das widerspricht – ganz besonders im Bereich der Solo-Selbstständigen, die rund die Hälfe der Selbstständigen ausmachen – dem gesunden Menschenverstand. Nachdem die Bundesregierung Solo-Selbstständige als prekäre, schlecht bezahlte Gruppe dargestellt hat, wird ihr damit abgesprochen, aktive Erwerbsarbeit zu leisten, vielmehr lebe sie von passivem Einkommen. Eine solche widersprüchliche, interessengeleitete Argumentation dürften viele Betroffene als empörend empfinden“.

Noch ist nichts entschieden

Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird Ungleichheit zementiert, statt sie abzubauen. Und das Problem erst in vier Jahren zu „evaluieren“ – also dann, wenn der Schaden längst entstanden ist – hat wenig Sinn. Niemand bestreitet, dass ein Aktivierungskonzept, das Menschen im Rentenalter ermutigt, weiterzuarbeiten, grundsätzlich zu befürworten ist. Es könnte ein Instrument sein, um Erfahrung, Wissen und Arbeitskraft älterer Menschen länger im System zu halten. Doch die aktuelle Ausgestaltung spaltet, statt zu vereinen.

Laut werden lohnt sich weiterhin

 

Petition

Unterstützen Sie die Petition „Aktivrente auch für Selbstständige – wir sind keine Erwerbstätigen zweiter Klasse“

 

Brief an Abgeordnete

Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) ruft Selbstständige auf, sich per Brief oder Mail an die Abgeordneten ihres Wahlkreises zu wenden und eine faire Aktivrente auch für Selbstständige einzufordern. Auf der VGSD-Website stehen Musterbriefe zur Verfügung.

Weitere News aus dieser Kategorie

Ihre AGEV – für Sie im Dialog

Arbeitgebervereinigung für Unternehmen
aus dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie e. V.

Bonner Talweg 55
53113 Bonn

 Tel: 0228 98375-0
 Fax: 0228 98375-19
 Nachricht schreiben