Den Wildwuchs bei IT-Beschaffungen beenden

Dr. Stefan Heumann, Geschäftsführer des gemeinnützigen Think Tanks Agora Digitale Transformation, sieht große Chancen im neuen Digitalministerium: Endlich könnten komplexe Zuständigkeiten entflochten und der Wildwuchs bei IT-Beschaffungen beendet werden. Im Interview erklärt er, wie standardisierte, herstellerunabhängige Schnittstellen zu Bürokratieabbau und digitaler Souveränität beitragen können.

Bildquelle: Robert Günther/Agora Digitale Transformation

AGEV: Welche neuen Impulse bringt Ihrer Einschätzung nach Minister Wildberger als Manager aus der Wirtschaft mit?

Stefan Heumann: Den Blick von außen. Die Ministerialverwaltung steht sich mit ihren komplexen Prozessen oft selbst im Weg. Viele hinterfragen nach einer Weile nicht mehr, ob es nicht anders und vor allem nicht auch einfacher ginge. Die Prozessfokussierung in Ministerien sorgt dafür, dass sich zu wenig mit den Ergebnissen und vor allem deren Wirkung befasst wird. Hier erhoffe ich mir vom Minister, dass er das Ministerium viel stärker auf das Erzielen tatsächliche Verbesserungen bei Bürgern und Unternehmen ausrichtet.

AGEV: Unternehmen erhoffen sich vom neu gegründeten Digitalministerium bessere Rahmenbedingungen. Welche Schwerpunkte sollte das Ministerium als erstes setzen?

Stefan Heumann: Zuerst sollte der Fokus auf dem Aufbau des Ministeriums liegen. Denn nur mit einer schlagkräftigen Organisation werden sich die hohen Erwartungen auch erfüllen lassen. Hierzu werden die Rahmenbedingungen in der Regelung von Arbeitsabläufen in entsprechenden Geschäftsordnungen ganz am Anfang gesetzt und lassen sich aus Erfahrung später nur schwer anpassen. Beim Bürokratieabbau sollte der Schwerpunkt auf Maßnahmen in der eigenen Zuständigkeit des Hauses wie z. B. beim Breitbandausbau oder der Digitalregulierung liegen. Hier wird es einfacher sein, schnelle Erfolge zu erzielen als in Themen, die mit anderen Ministerien abgestimmt werden müssen.

AGEV: Kann die Bündelung der sechs Fachressorts unter dem Dach des BMDS das Tempo bei der Digitalisierung beschleunigen?

Stefan Heumann: Auf jeden Fall. Bei der Zusammenlegung wird bereits deutlich, dass es einiges an Redundanzen in den Zuständigkeiten gibt, die man nun endlich auflösen kann. Die komplexen und überlappenden Zuständigkeiten zwischen den Fachressorts waren einer der größten Bremsklötze bei der schnellen Bearbeitung von Digitalthemen.

AGEV: Das Digitalministerium hat einen Zustimmungsvorbehalt für wesentliche IT-Ausgaben erhalten. Wie bewerten Sie das?

Stefan Heumann: Das ist ein ganz wichtiger Hebel, um Transparenz über die Ausgaben zu erhalten und so den Wildwuchs bei IT-Beschaffungen endlich zu beenden. Bis heute fehlt ein zentraler Überblick über die vielen IT-Projekte in den Fachressorts und die damit verbundenen Kosten. Eines der zentralen Themen des BMDS wird es sein, eine übergreifende IT-Strategie mit entsprechenden Standards zu formulieren und umzusetzen. Mit dem Zustimmungsvorbehalt ist hierfür nun auch eine Grundlage da, eine solche Strategie auch durchzusetzen.

AGEV: Interoperabilität wird von vielen Experten als der Schlüssel für den Digitalisierungserfolg genannt. Wie wichtig sind standardisierte herstellerunabhängige Schnittstellen?

Stefan Heumann: Ganz wichtig. So vermeidet man Lock-Ins bei bestimmten Herstellern und Kostenfallen. Viele Hersteller von Fachverfahren lassen sich das nachträgliche Anbinden an Standards teuer bezahlen oder verschleppen solche Umsetzungen. Es gilt daher die Definition von Standards und ihre Implementierung von Anfang an in öffentlichen IT-Projekten mitzudenken und zu implementieren. Das öffnet den Markt für Wettbewerber und stärkt die Handlungsspielräume der öffentlichen Hand oder wie auch gerne gesagt wird: die digitale Souveränität.

AGEV: In anderen Ländern wie Estland oder Belgien können Bürger längst auf Behördengänge verzichten und von der Kfz-Anmeldung bis zum Bauantrag fast alles online erledigen. Warum klappt die Vernetzung zwischen Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland noch nicht, und was muss passieren, damit die Daten zwischen den Behörden hin- und herwandern können (und nicht die Bürger)?

Stefan Heumann: Die oben angesprochenen Standards sind hierfür sehr wichtig und die Registermodernisierung. Wir brauchen auch eine bessere Arbeitsteilung von Bund und Ländern. Zentrale Komponenten in der Verwaltungsdigitalisierung wie Authentifizierung, Bezahl- und Kommunikationsfunktionen und Datenaustauschfunktionen sollten zentral finanziert und zur Verfügung gestellt werden. Entsprechende Konzepte und Ansätze hierfür gibt es. Diese müssen nun endlich konsequent umgesetzt werden. Das ist der zentrale Hebel, der dann in ganz vielen Anwendungen und Diensten den Bürokratieabbau für Unternehmen und Bürger möglich macht.

AGEV: Danke für das Gespräch.

Über Dr. Stefan Heumann

Stefan Heumann ist Geschäftsführer der Agora Digitale Transformation und promovierter Politikwissenschaftler. Zuvor war er fast zehn Jahre bei der Stiftung Neue Verantwortung e. V. (heute unter dem Namen interface) und hat dort die Weiterentwicklung der Organisation zum Think Tank für die Gesellschaft im technologischen Wandel geprägt und mitgestaltet. Mit der Agora Digitale Transformation verfolgt er das Ziel, große Ideen und konkrete Umsetzung zusammenzudenken. Denn nur so kann Digitalisierung in und für unsere Demokratie gelingen. Beratend war Heumann unter anderem als Mitglied der Enquete Kommission „Künstliche Intelligenz“ und Mitglied der Gründungskommission des Dateninstituts tätig.

Weitere News aus dieser Kategorie

Ihre AGEV – für Sie im Dialog

Arbeitgebervereinigung für Unternehmen
aus dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie e. V.

Bonner Talweg 55
53113 Bonn

 Tel: 0228 98375-0
 Fax: 0228 98375-19
 Nachricht schreiben