Energy Sharing: Energieversorgung in der Hand der Bürger

3. November 2022


Wenn Bürgerinnen und Bürger gemeinschaftlich Strom erzeugen und nutzen: Das ist „Energy Sharing“. Das EU-Konzept könnte die Energiewende beschleunigen und zur Strom- und Gasunabhängigkeit Deutschlands beitragen. Doch der gesetzliche Rahmen lässt auf sich warten.

  • Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EEG) investieren gemeinsam in Wind- und Solaranlagen und verbrauchen den Strom, den sie regional produzieren.
  • Wenn „Energy Sharing“ umgesetzt wird, könnten laut Studie 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland von günstigerem Strom profitieren.
  • Was fehlt, ist der gesetzlichen Rahmen, damit Energy Sharing im öffentlichen Netz wirtschaftlich möglich ist.

Wie das Prinzip Energy Sharing im Kleinen funktionieren kann, zeigt die 1.000-Seelen-Gemeinde Großbarendorf, die in Sachen Strom und Wärme nahezu autark unterwegs ist. Alles fing an mit einer Solaranlage auf freiem Feld, an der sich viele Einwohner beteiligten. Die Menschen fanden Gefallen daran, die Stromerzeugung selbst in die Hand zu nehmen. Inzwischen produziert und vertreibt die Gemeinde Strom und Wärme unter dem Dach einer Bürgergenossenschaft. Jedes Jahr schließen sich weitere Hauseigentümer an das Nahwärmenetz an. Wer dabei ist, muss sich im Winter keine Sorgen machen, denn 80 Prozent der Wärme, die in Großbarendorf gebraucht wird, ist gesichert. Beispiele wie diese gibt es auch andernorts in Deutschland – doch es sind bisher nur „Energie-Inseln“ kleinster Dimension. Walter Falger aus Schönau im Schwarzwald ist ein weiterer Vorreiter, der die Energiewende pragmatisch vorantreiben will. Vor wenigen Jahren gründete er mit 24 Mitstreitern aus der Stadt das „virtuelle Bürgerkraftwerk“. Jeder beteiligte Haushalt teilt die Energie, die er durch Photovoltaik, Thermalanlagen oder Brennstoffzellen produziert, mit der Gruppe. Die Beispiele zeigen, dass das Prinzip Energy Sharing bestens funktionieren kann. Wenn jedoch das öffentliche Netz ins Spiel kommt, wird es kompliziert; bürokratische Barrieren und unterschiedliche Interessen säumen den Weg in die lokale Energieunabhängigkeit. Fürsprecher der Bürgerenergie-Bewegung kritisieren seit Jahren die hohen Hürden, die solche Zusammenschlüsse von Einwohnern über Gebühr belasten. Sie fordern die Abschaffung des Ausschreibungssystems für jegliche Art von Erneuerbaren Energien – bis hin zu Biogasanlagen, die in der dunklen Jahreszeit zur Sicherung der Strom- und Wärmeerzeugung beitragen können. Die großen Player am Markt verfolgen wiederum andere Interessen. Sie fordern vom deutschen Gesetzgeber, dass es keine Privilegierung für Bürgergemeinschaften geben dürfe.

Teilhabe vor Ort ist der Schlüssel

Die EU hat das Konzept „Energy Sharing“ bereits 2019 in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Art. 22) verankert. Die Ampelregierung hat sich die Umsetzung zwar in den Koalitionsvertrag geschrieben, der regulatorische Rahmen jedoch lässt auf sich warten, damit sich Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften bilden und wirtschaftlich arbeiten können. Ein Dilemma, denn wie die Erfahrung zeigt, ist die Akzeptanz der Menschen vor Ort die wesentliche Voraussetzung, um neue Standorte für Windenergie und Photovoltaik auf Freiflächen zu erschließen. Könnten sie in die Anlagen mitinvestieren und aktiver Part beim Energy Sharing werden, gäbe es mehr Zuspruch. Professor Bernd Hirschl, der am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) forscht, erklärte Mitte September auf der Konferenz „Industry meets Renewables“: „Von der Erzeugung über den Verbrauch und die Netze bis hin zu Rahmenbedingungen und Geschäftsmodellen muss die Teilhabe für Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern leichter werden. Ein solches auf regionale Wertschöpfung ausgerichtetes System ist resilienter und fördert die Akzeptanz.“ Dass die Energiewende nur mit Einbindung und Teilhabe der Bürgerschaft an Tempo gewinnt, untermauert die aktuelle IÖW-Studie „Energy Sharing: Eine Potenzialanalyse“.

Die Möglichkeiten wären laut Analyse enorm: Über 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland könnten mit vergünstigtem Energy-Sharing-Strom versorgt werden, so die Berechnungen. Würden die Mitglieder der sich neu bildenden Energiegemeinschaften mindestens zwölf Prozent der Investitionskosten ihrer Anlagen beisteuern, würden sich Investitionen in Höhe von 6,5 bis 12,8 Milliarden Euro ergeben. Jedes Mitglied wäre dann laut Studie im Durchschnitt mit rund 100 bis 200 Euro selbst an den Anlagen beteiligt.

Energieresilienz: Politik ist gefordert

Die bestehenden Strukturen zur Förderung Erneuerbarer Energien sehen das Modell der EEG-Gemeinschaften aktuell allerdings nicht vor. Das IÖW hat klare Empfehlungen an die Politik für eine schnelle Verbreitung von Energy Sharing in Deutschland formuliert: Damit das Konzept im öffentlichen Netz wirtschaftlich möglich ist, müsse der gesetzliche Rahmen an das geltende EU-Recht angepasst werden. Energy Sharing biete die Chance, dass die Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende teilhaben und sich finanziell beteiligen. Bis 2030 könnten EEG zu 42 Prozent zum EE-Zubau beitragen. Zudem sollten auch finanzielle Anreize der Sache dienen und wirtschaftlich tragfähige Modelle fördern – etwa verringerte Stromnebenkosten oder eine Prämienzahlung.

Bildquelle: Annika Huskamp