„Ihr müsst Sichtbarkeit neu denken“
Michael Weckerlin, bekannt als „Mister SEO“, zeigt kleinen und mittleren Unternehmen, wie sie ihre digitale Sichtbarkeit steigern. Doch was, wenn Relevanz nicht mehr über Google-Rankings, sondern über KI-kuratierte Antworten definiert wird? Noch spielen KI-Browser eine kleine Rolle – doch der Trend ist klar erkennbar. Der Online-Marketing-Experte erklärt, was sich verändert, was er Unternehmen jetzt rät – und welche Inhalte von KI bevorzugt werden.

AGEV: Die Mechanismen digitaler Sichtbarkeit ändern sich gerade grundlegend. Was passiert, wenn KI-Browser zu Gatekeepern werden und Antworten kuratieren?
Michael Weckerlin: KI-Browser verschieben die Sichtbarkeit von Klicks auf Antworten. Inhalte erscheinen nicht mehr direkt in Suchergebnissen, sondern als kuratierte Zusammenfassungen. Marken verlieren damit den Zugriff auf den ersten Kontaktpunkt. Nur Inhalte, die in KI-Antworten einfließen, bleiben sichtbar. Diese Entwicklung sehen wir gerade deutlich bei Systemen wie ChatGPT Search, Perplexity und vor allem bei den Google AI Overviews. Auch neue Browser wie Perplexity Comet, DIA oder Opera Neon setzen auf integrierte KI-Antworten statt klassischer Suchergebnisse. Sie verändern, wie Informationen gefunden und präsentiert werden. Noch haben diese Systeme einen sehr geringen Marktanteil. Sie befinden sich in der Einführungs- und Testphase. Im Vergleich zu etablierten Browsern wie Chrome, Safari, Firefox oder Edge wirken die Nutzerzahlen verschwindend gering. Doch die Richtung ist klar.
Das schafft neue Gatekeeper. Wer die KI trainiert oder die Datenquellen kontrolliert, entscheidet über Reichweite. Klassisches SEO (Search Engine Optimization) verliert an Bedeutung. Relevanz entsteht nicht mehr durch Rankings, sondern durch Integration in die Antwortketten.
Für Unternehmen heißt das: Inhalte müssen maschinenlesbar, eindeutig und vertrauenswürdig sein. Datenfeeds, strukturierte Inhalte und eine starke Markenreputation sichern den Platz in kuratierten Antworten.
Um es kurz zu fassen: Sichtbarkeit wandert vom Suchindex zur Antwortmaschine. Wer die Sprache der KI spricht, bleibt relevant.
AGEV: Der Mensch ist bequem: Wenn die KI eine konsolidierte Antwort liefert, besteht dann nicht die Gefahr, dass man sich damit schon zufriedengibt?
Michael Weckerlin: Ja, das passiert bereits. Menschen sind bequem. Sie akzeptieren oft die erste Antwort, die ihnen eine KI präsentiert. Studien zeigen: Bei Google landen über 60 Prozent der Klicks auf den ersten drei Ergebnissen. Wenn Systeme wie ChatGPT Search oder Google AI Overviews direkt eine Antwort liefern, sinkt der Anreiz weiterzuklicken, noch mehr. Für einfache Fragen oder Standardprodukte reicht vielen Nutzern eine kurze Zusammenfassung. Doch bei größeren Investitionen, sensiblen Themen oder persönlichen Interessen sieht das anders aus. Dann wird weitergelesen, verglichen, geprüft. Was heißt das für Unternehmen? Wer nicht Teil der KI-Antwort ist, verliert Sichtbarkeit – und zwar bereits ganz am Anfang der Customer Journey. Gleichzeitig bleibt guter Content entscheidend. Inhalte mit echtem Mehrwert und Erfahrung aus erster Hand geben der KI überhaupt erst etwas, worauf sie zugreifen kann.
AGEV: Wird die Rolle von Google als meistgenutzte Einstiegsplattform ins Web aus Ihrer Sicht ein Ende finden?
Michael Weckerlin: Googles Rolle als zentrales Einstiegstor ins Web bröckelt. KI-Systeme wie ChatGPT Search oder Perplexity liefern Antworten – ohne Klick auf klassische Suchergebnisse. Selbst Google testet mit den AI Overviews, wie sich Nutzer im eigenen Ökosystem halten lassen. Die Folge: Google verliert an Alleinstellung. Allerdings sind Marktanteil, Datenmacht und Werbesystem nach wie vor sehr stark – aber unangreifbar ist es nicht mehr. Neue Gatekeeper übernehmen. KI-Browser und Agenten verschieben den Zugriff auf Wissen. Wer zuerst antwortet, lenkt den Traffic. Trotzdem: Googles Stärke sollte man nicht unterschätzen. Kein Player besitzt mehr Nutzerdaten, Suchverhalten, Kaufabsichten und Kontextwissen. Und genau das ist die Währung im KI-Zeitalter. Google kann mit diesen Daten Antworten liefern, die präziser und personalisierter sind als bei jeder Konkurrenz. Ein abruptes Ende halte ich daher für unwahrscheinlich. Doch die Dominanz steht nicht mehr so fest wie in den vergangenen Jahrzenten. Google steht unter Zugzwang.
AGEV: Was bedeutet es für Onlinehändler, wenn Aufmerksamkeit nicht mehr durch Ranking und Klicks verteilt wird?
Michael Weckerlin: Für Onlinehändler bedeutet das einen Systemwechsel. Aufmerksamkeit entsteht nicht mehr über Rankings oder Klickvolumen – sondern durch die Kurationslogik der KI. Das heißt konkret: KI filtert, bündelt, priorisiert. Händler kämpfen nicht mehr um Platz eins bei Google, sondern um einen Platz in der Antwort. Produktfeeds, strukturierte Daten und Markenautorität rücken damit in den Fokus. Nur technisch saubere und zitierfähige Inhalte schaffen es in die KI-Antwort. Auch die Klickpfade werden kürzer. Nutzer erwarten Beratung direkt im System – ohne Abstecher in zehn Tabs. Die Conversion beginnt oft erst nach der Antwort. Marke zählt daher mehr denn je. KI bevorzugt Quellen, die als vertrauenswürdig gelten. Wer keine Autorität aufbaut, wird aussortiert.
AGEV: Was ist Stand heute ihr wichtigster Rat an Unternehmer, um in der Welt der KI-Browser sichtbar zu bleiben?
Michael Weckerlin: Ihr müsst Sichtbarkeit neu denken. In einer Welt der KI-Suchsysteme entscheidet nicht mehr das Ranking in den klassischen Suchergebnissen, sondern die Aufnahme in KI-generierte Antworten. Eine Kennzahl sind Mentions bzw. Erwähnungen, also wie oft etwas genannt wird. Am wichtigsten ist jedoch, ob daraus tatsächlich Handlungen entstehen – sogenannte Conversions. Dafür braucht es drei Hebel. Erstens: eine stabile technische Basis mit strukturierten Daten, sauberen Produktfeeds und maschinenlesbaren Inhalten, damit KI-Systeme Informationen zuverlässig verarbeiten können. Zweitens: den konsequenten Aufbau von E-E-A-T – also Experience, Expertise, Authoritativeness und Trustworthiness – durch Inhalte, die Fachwissen beweisen, Vertrauen schaffen und die Marke klar positionieren. Drittens: Nennungen in Fachartikeln, Medien und Communitys, die von KI-Browsern als Relevanzsignal gewertet werden.
Gleichzeitig gilt: Die Grundprinzipien der Suchmaschinenoptimierung (SEO) bleiben unverändert wichtig. Sowohl KI-Suchsysteme und KI-Browser als auch klassische Suchmaschinen wie Google belohnen gutes SEO. Entscheidend ist nutzerorientierter, hochwertiger Content mit echter First-Hand-Experience – das heißt Inhalte, die konkrete Fragen beantworten, Expertise zeigen und Vertrauen aufbauen, gewinnen in beiden Welten Sichtbarkeit. Wer konsequent auf sauberes SEO und echten Mehrwert setzt, bleibt nicht nur bei Google präsent, sondern sichert sich auch den Platz in den Antworten der KI-Systeme.
AGEV: Danke für das Gespräch.
Über Michael Weckerlin
Michael Weckerlin, auch bekannt als „Mister SEO“, ist Mitgründer einer Webagentur und seit über 20 Jahren im Online-Marketing aktiv. Seit 2018 unterstützt er als freiberuflicher SEO-Berater KMUs und Agenturen. Seit 2023 berät er zudem zum Einsatz von KI-Tools wie ChatGPT. Seine Begeisterung und sein tiefgehendes Know-how teilt er in ausführlichen Workshops zu SEO und generativer KI. Er teilt als Referent sein Expertenwissen bei Instituten wie der Quadriga Hochschule, der Hochschule Fresenius und auf renommierten Online Marketing Konferenzen wie der CAMPIXX, der AI:CAN und dem OMT.
Kontakt:
E-Mail: michael.weckerlin@mister-seo.com
Linkedin: https://www.linkedin.com/in/mister-seo/
Weitere News aus dieser Kategorie
22. Juni 2025
Den Wildwuchs bei IT-Beschaffungen beenden
Dr. Stefan Heumann, Geschäftsführer des gemeinnützigen Think Tanks Agora…
11. April 2025
Sind die EU-Regeln gegen Hasskommentare in den sozialen Medien durchsetzbar?
Wie realitätstauglich sind die EU-Gesetze gegen Hasskommentare, Deepfakes und…
4. Februar 2025
„Wir brauchen mehr Mut bei politischen Entscheidungen“
Der Club of Rome ist seit Jahrzehnten bekannt für seine eindringlichen…



