Sind die EU-Regeln gegen Hasskommentare in den sozialen Medien durchsetzbar?

Wie realitätstauglich sind die EU-Gesetze gegen Hasskommentare, Deepfakes und illegale Inhalte auf den Plattformen? Wir fragen Christian Solmecke, Rechtsanwalt für Medienrecht und IT-Recht, nach seiner Einschätzung des europäischen und deutschen Rechtsrahmens für digitale Dienste.

Christian Solmecke (Bildquelle: WBS Legal)

AGEV: Nicht wenige Rechtsexperten halten die Regeln gegen Hasskommentare in sozialen Medien für schwer durchzusetzbar. Wie beurteilen Sie die praktische Umsetzung?

Christian Solmecke: Die Ansicht meiner Kollegen teile ich. Wir erzielen zwar beinahe täglich Erfolge für unsere Mandanten, was zeigt, dass man sich als Betroffener mit rechtlicher Hilfe durchaus zur Wehr setzen kann. Dennoch muss auch ich sagen, dass unsere Gesetze zwar bereits ausreichen, um entschieden gegen rechtswidrige Inhalte wie Hasskommentare vorzugehen. Das geltende Recht aber müsste dafür insgesamt wesentlich strikter angewendet werden. Hier müssen Plattformbetreiber wie Meta meiner Ansicht nach erheblich stärker in die Pflicht genommen werden.

AGEV: Was als Hassrede gilt, kann je nach Land und Plattform variieren. Ist Hassrede ein rechtlich definierter Begriff?

Christian Solmecke: Eine einheitliche Definition von Hassrede existiert nicht. Generell wird unter dem Oberbegriff eine Verrohung der Sprache im Rahmen öffentlicher Diskussionen gefasst, die mit abwertenden und menschenverachtenden Aussagen oder Bildern einhergeht. Unter den Begriff fallen gleich zahlreiche Straftatbestände wie Volksverhetzung, Beleidung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung oder auch die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Diese Liste ist nicht abschließend, sie zeigt vielmehr, dass Hassrede ein Oberbegriff geworden ist, der für viele strafbare Handlungen steht.

AGEV: Besteht die Gefahr, dass es mit der Regulierung übertrieben wird und die Meinungsfreiheit zu stark eingeschränkt wird?

Christian Solmecke: Die Ansicht, dass in Deutschland die Meinungsfreiheit in Gefahr sein soll, ist nicht neu. Derzeit wird dies insbesondere von Trump-Vertretern und Anhängern propagiert, doch basiert diese Sichtweise auf einem völlig anderen Verständnis von Meinungsfreiheit, welche in meinen Augen zum Glück in Europa so nicht existiert. Zumal die Kritik auch falsch ist.

In Deutschland ist die Meinungsfreiheit durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Jeder darf bei uns sehr wohl seine Meinung frei äußern – ob auf der Straße, in den sozialen Medien oder in der Presse. Kritik an der Regierung, an gesellschaftlichen Entwicklungen oder an Unternehmen ist uneingeschränkt erlaubt. Doch Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht, dass jede Äußerung ohne Konsequenzen bleibt, denn es gibt klare Grenzen: Zum einen durch unsere Strafgesetze. Volksverhetzung, Aufrufe zu Gewalt oder die Verbreitung von Hass sind keine geschützten Meinungen, sondern strafbare Handlungen. Diese Gesetze existieren, um den öffentlichen Frieden zu wahren und einzelne Personengruppen vor gezielten Angriffen zu schützen.

Zum anderen endet die Meinungsfreiheit dort, wo die Persönlichkeitsrechte anderer verletzt werden. Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung greifen direkt in das Recht eines Menschen auf Achtung und Ehre ein und können entsprechend juristische Folgen haben. Denn niemand muss es hinnehmen, öffentlich herabgewürdigt zu werden.

Diese Grenzen sind wichtig, um den demokratischen Diskurs zu schützen. Wer es bei uns schafft, die eigene Meinung ohne Beleidigung oder Diskriminierung anderer zu äußern, muss sich über die Frage der Meinungsfreiheit nicht den Kopf zerbrechen. Wer jedoch offen andere z. B. aus rassistischen, antisemitischen, transfeindlichen, homofeindlichen oder sexistischen Motiven herabwürdigt, äußert nicht seine Meinung, sondern macht sich strafbar.

Diese Einschränkungen mögen für manche streng wirken, doch sind sie bewusst so konzipiert, dass besonderer Wert auf den Schutz der Menschenwürde gelegt wird, was auch in Art.1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.

Und Deutschland steht mit diesen Regeln keineswegs alleine da – viele andere europäische Länder wie Frankreich, Österreich oder auch die skandinavischen Länder haben ebenfalls strenge Gesetze gegen Hassrede.

AGEV: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat im März entschieden, dass Plattformen wie Facebook nach einem Hinweis auf einen rechtsverletzenden Post auch ohne weitere Hinweise sinngleiche Inhalte sperren müssen. Wie relevant ist diese Entscheidung vor dem Hintergrund des DSA?

Christian Solmecke: Ob die Löschpflicht von Plattformen wie Facebook wirklich auch inhaltsgleiche Posts umfasst, ist derzeit in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Derzeit liegt genau diese Frage beim Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH hatte in einem von Renate Künast angestrengten Verfahren um ein Meme sein Verfahren zunächst ruhen lassen, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem weiteren, bereits anhängigen Verfahren, urteilen wird (Rechtssache C-492/23). Auch im BGH-Fall war die Vorinstanz das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. Mit dem neuerlichen Urteil führt das OLG Frankfurt die Rechtsprechung zu Prüfpflichten eines Hostproviders damit fort.

Dennoch wird es entscheidend darauf ankommen, wie sich der EuGH zu dieser Frage positionieren wird und sodann der BGH auf dieser Grundlage entscheiden wird. Daran wird sich dann wohl auch das OLG Frankfurt künftig orientieren. Sollten EuGH und BGH aber die Prüfpflichten für die Plattformbetreiber tatsächlich ausdehnen, müssten diese künftig bei einem Hinweis auf rechtsverletzende Inhalte selbst ihre Plattform nach ähnlichen, sinngleichen Inhalten durchsuchen und diese sperren.

Eine politische Frage: Die großen Tech-Konzerne pflegen enge Verbindungen zur US-Regierung, die bereits signalisiert hat, dass sie die EU-Regulierungen wie den Digital Services Act als Einschränkung der Meinungsfreiheit interpretiert. Wird sich die Kritik Ihrer Einschätzung nach auf die Durchsetzbarkeit der Regelungen auswirken?

Christian Solmecke: Wenn wir in Europa bei Hate Speech beginnen würden, unsere geltenden Gesetze konsequent anzuwenden und auch durchzusetzen, dann würden die Ansichten der US-Politik schnell keine Rolle mehr spielen. Denn dann müssten die Plattformen handeln oder entsprechend strikte Konsequenzen fürchten. In Europa sprechen wir immerhin von rund 750 Millionen Einwohnern und einem enorm wichtigen Markt auch für Facebook und Co. Wir sollten uns hier auf unser rechts- und Wertesystem besinnen und dieses auch strikt umsetzen. Damit wäre uns allen geholfen.

Über Christian Solmecke

Christian Solmecke (51) hat sich als Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS.LEGAL auf die Beratung der Internet- und IT-Branche spezialisiert. So hat er in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce der Kanzlei stetig ausgebaut und betreut zahlreiche Medienschaffende, Web 2.0 Plattformen und App-Entwickler. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Christian Solmecke vielfacher Buchautor und als Gründer der cloudbasierten Kanzleisoftware Legalvisio.de auch erfolgreicher LegalTech Unternehmer. Zudem ist er an der Kölner International Business School (CBS) als Honorarprofessor für Recht lehrend tätig.