Energie auf dem kurzen Weg

Wenn aus Wohnquartieren eigenständige Energiesysteme werden, in denen erneuerbare Energien autark produziert, verteilt und verbraucht werden, könnte das den CO2-Fußabdruck des Gebäudesektors deutlich senken. Das Startup Ampeers Energy will mit seiner Softwarelösung die Wohnungswirtschaft zu Energieversorgern im Quartier machen.

Bildquelle: Isarwatt eG
  • Die digitale Lösung richtet sich an private, kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen mit größeren Beständen.
  • Durch das Zusammenspiel von sauberer Energie und intelligenter Vernetzung lassen sich Investitionen in die Klimatechnologien refinanzieren und perspektivisch sogar Renditen erzielen.
  • In einigen Quartieren wird die Lösung bereits erprobt.

Die deutsche Wohnungswirtschaft mit ihren rund sechs Millionen Gebäuden gerät zunehmend unter Druck. Ob es die Klimaziele, die CO2-Kosten, die EU-Taxonomie oder die Pläne der Politik rund um eine nachhaltige Wärmeversorgung sind: Der gewaltige CO2-Fußabdruck des Gebäudesektors könnte bald richtig teuer werden. 115 Millionen Tonnen CO2 gehen aufs Konto von Immobilien. Und bisher haben die professionellen Akteure des Gebäudesektors zu wenig saniert, um ihre Klimaziele zu erreichen – aktuell liegt die Quote der jährlich modernisierten Gebäude bei nur rund einem Prozent. Sollte sie weiterhin so gering bleiben muss der Sektor mit exponentiell ansteigenden Kosten und einem Wertverlust der Gebäude rechnen. Ein Rechenbeispiel des Startups Ampeers Energy, das 2019 als Fraunhofer-Ausgründung gestartet ist, soll das verdeutlichen: Ein mittelgroßer Vermieter mit über 5.000 Wohneinheiten, die jährlich 40 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter emittieren (Baujahr 1960), hinterlässt einen jährlichen CO2-Fußabdruck von ca. 16.000 Tonnen. Bei einer vorhergesagten CO2-Bepreisung von 100 Euro pro Tonne im Jahr 2030 wäre mit Kosten von 1.600.000 Euro jährlich zu rechnen – sollte das Immobilienunternehmen bis dahin keine Minderung der Emissionen erreicht haben. Den Wärmebedarf durch Dämmung zu senken ist zwar nach wie vor einer der wirksamen Hebel zur CO2– Reduktion, steht aber auch in der Kritik, weil die Baustoffe in ihrer CO2-Bilanz häufig schlecht abschneiden und die Kosten auf die Mieten umgeschlagen werden, die schon jetzt die Mieterinnen und Mieter in vielen Städten über Gebühr belasten. Ein alternativer Weg könnte eine klimafreundliche Wärme- und Stromerzeugung über Mieterstrom sein, der von Solaranlagen auf den Dächern einer Liegenschaft erzeugt und von dort direkt, das heißt ohne Netzdurchleitung, an die Bewohner im Quartier geliefert wird (zur aktuellen Förderung von Mieterstrommodellen siehe Kasten unten).

Intelligentes Energiemanagement im Quartier

Genau hier setzt die Softwarelösung von Ampeers Energy an. Klimaschutz soll für Unternehmen mit größeren Wohnungsbeständen durch das Zusammenspiel von sauberer Energie und intelligenter Vernetzung nicht mehr immer nur teurer, sondern im Gegenteil zu einem Geschäftsmodell werden, das die notwendigen Investitionen in die Klimaschutztechnologie refinanziert – und sogar profitabel werden kann. Durch das KI-gesteuerte Energiemanagement und eine neue Anlagentechnik könnte das im Beispiel genannte Unternehmen seinen CO2-Fußabdruck von 40 auf weniger als zwei Kilogramm pro Quadratmeter absenken, so die Rechnung des Startups. Die Mieter wiederum profitieren vom günstigen, lokal erzeugten grünen Strom – insbesondere, wenn die Strompreise in Zukunft weiter steigen. In der Praxis sieht die Lösung so aus: Der vor Ort produzierte saubere Strom wird ohne Nutzung des öffentlichen Stromnetzes direkt in die Wohnungen der Mieter geliefert und innerhalb des Quartiers durch die Systemlösung intelligent gesteuert – von der automatisierten Betriebsführung über die Abrechnung für die lokale Mieterstromlösung bis hin zum Monitoring und Reporting. Netzentgelte und weitere Abgaben ließen sich einsparen. Neue Erlösmöglichkeiten ergeben sich unter anderem durch den Verkauf von Ladestrom im Quartier, Einnahmen durch die Einspeisevergütung oder den Verkauf von Wärme.

Bevor ein Projekt realisiert wird, spielt eine Simulationssoftware unterschiedliche Szenarien durch, analysiert Daten und Potenziale, um ein optimales Energiekonzept für das Immobilienunternehmen zu entwickeln. Im nächsten Schritt folgt die Priorisierung der bestehenden Liegenschaften und darauf aufbauend eine zeitliche Abfolge für die Sanierung.

In der Erprobungsphase

Die Lösungen des jungen Unternehmens werden in der Praxis bereits getestet, beispielsweise im Rahmen gemeinsamer Projekte mit den Stadtwerken Hanau, der Rheinwohnungsbau oder Vonovia, Deutschlands größtem Wohnungsunternehmen. In einem Bochumer Quartier von Vonovia soll die neue Energiezentrale 81 Wohnungen mit Strom und Wärme versorgen. Das technologische Gehirn der Anlage ist die selbstlernende Software von Ampeers Energy, die Elemente wie Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen mit Speicher, einen Wasserstoff-Elektrolyseur, Brennstoffzellen sowie Ladestationen für E-Mobilität für die Nutzung im Quartier optimiert. Damit will Vonovia die anliegenden Haushalte zu mindestens 60 Prozent autark, also mit dezentral erzeugter, CO2-freier Wärme versorgen. Die Software aktualisiert viertelstündlich die Prognosen beispielweise für den Energiebedarf im Quartier und die Erzeugung durch die PV-Anlagen. Sie dienen als Basis für den Betrieb des komplexen, in sich geschlossenen Systems und sollen sicherstellen, dass alle Anlagen wirtschaftlich und ökologisch optimal eingesetzt werden.

Mehr Informationen: Ampeers Energy

Regulatorische Hürden abbauen

Mieterstrommodelle – also die Installation von Photovoltaikanlagen auf Mehrfamilienhäusern, die Strom für Mieter im selben Haus produzieren – gelten als wichtiges Instrument, um die Energiewende in Städten flächendeckend und sozial gerecht umzusetzen. Doch die Prozesse dahinter sind komplex. Verbrauchsdaten müssen hundert Prozent verlässlich sein, Abrechnungen innerhalb kurzer Zeit erstellt und dabei zahlreiche energiewirtschaftliche Anforderungen erfüllt werden. Seit 2017 ist Mieterstrom gesetzlich geregelt, hat sich aufgrund der zahlreichen regulatorischen Hürden allerdings noch nicht im großen Stil durchsetzen können. Die Ampel-Regierung will diese Hürden nun abbauen und plant dazu eine Reihe von Maßnahmen. Geprüft werden soll zum Beispiel, wie die Vertragsgestaltung für die Anbieter von Mieterstromtarifen vereinfacht werden kann. Zudem soll Mieterstrom künftig in reinen Gewerbegebäuden möglich sein. Die Beschränkung auf eine anteilige Wohnnutzung der versorgten Gebäude würde dann entfallen.

Mehr zu den neuen Vorschlägen des BMWK bei haufe.de.