Produktiver mit KI: Rein in die Praxis!

KI durchdringt immer mehr Bereiche unseres Lebens. Folgt nach dem Hype nun die Routine? Umfragen zeigen, dass Lehrer, Schüler und Studierende KI-Tools – allen voran den Platzhirsch ChatGPT – bereits weitgehend für ihre Zwecke nutzen. Es gibt aber auch Hemmnisse, vor allem in der Wirtschaft und auch bei Selbstständigen und Freiberuflern. Gründe dafür sind Bedenken hinsichtlich der Risiken, mangelndes Wissen über die am besten geeigneten Tools oder hohe Kosten. Dabei können KI-Werkzeuge ganz konkrete Beiträge zur Produktivitätssteigerung leisten. Wir werfen exemplarisch einen Blick auf einige Berufsfelder – als Anregung, KI-Tools einfach mal auszuprobieren.

 

Bildquelle: Solen Feyissa auf Unsplash

Ältere fühlen sich an die Zeit nach dem Produktlaunch von Google im September 1998 erinnert, als die damals revolutionäre Suchmaschine schlagartig ins Bewusstsein der breiten Masse diffundierte. Heute, 26 Jahre später, hat Google einen Marktanteil von 92 Prozent in Europa, 87 Prozent in den USA und sogar 98 Prozent in Indien. Ob ChatGTP ähnlich dominant wird, weiß derzeit niemand. Allerdings wächst die Nutzung des KI-Tools noch schneller als seinerzeit Google. Nur zwei Monate nach dem Start im November 2022 hatte die Plattform bereits 100 Millionen Nutzer weltweit – der erfolgreichste Produktstart aller Zeiten. Und es geht weiter: Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom von November 2023 haben bereits 34 Prozent der Deutschen den KI-Chatbot genutzt, 50 Prozent davon auch für berufliche Zwecke (davon 17 Prozent ohne Wissen des Arbeitgebers). Die Quote dürfte inzwischen nochmal gestiegen sein.

Spürbare Steigerung der Produktivität

Tatsächlich verändern die neuen KI-Tools in rasantem Tempo die Art und Weise, wie in vielen Bereichen gearbeitet wird. SEO- und KI-Experte Michael Weckerlin sagt im aktuellen Interview mit „AGEV im Dialog“, dass er bei sich teilweise Produktivitätssteigerungen von bis zu 75 Prozent durch KI-Tools feststellt. Wie hoch der Produktivitätsgewinn im Einzelfall ist, lässt sich aber pauschal nicht sagen. 75 Prozent sind sicher nur in wenigen Anwendungsbereichen zu erreichen, aber gerade bei sich wiederholenden Routinearbeiten zahlt sich der Einsatz am meisten aus.

Viele Freiberufler und Selbstständige haben diese große Chance für ihre berufliche Praxis noch nicht genutzt. Deshalb haben wir exemplarisch einige Berufsfelder herausgegriffen und uns angeschaut, wie dort KI konkret zur Produktivitätssteigerung eingesetzt werden kann. Dies soll vor allem als Anregung dienen, KI-Tools einfach mal auszuprobieren (siehe Kasten unten), um das Passende für sich zu finden. Tipps für das Prompting finden Sie ebenfalls unten im Kasten.

Softwareentwickler

Die Softwareentwicklung ist einer der Bereiche, in denen die Arbeit mit KI-Tools bereits Standard ist. Sehr beliebt ist beispielsweise der GitHub Copilot von Microsoft – ein KI-gestütztes Tool, das Entwickler bei der Code-Erstellung unterstützt. Es liefert kontextbezogene Codevorschläge und vervollständigt Codezeilen. Copilot spart Zeit durch die Automatisierung von Routineaufgaben und ermöglicht es, sich auf komplexere Probleme zu konzentrieren. Auch ChatGPT kann eingesetzt werden, um schnelle Antworten auf technische Fragen zu erhalten und um Code-Snippets zu generieren. Tools wie Codestral oder Replit können auch beim Erlernen neuer Programmiersprachen helfen. Replit beispielsweise bietet eine interaktive Lernumgebung und unterstützt mit Inline-Vorschlägen und Code-Vervollständigung. Für die Gestaltung von Benutzeroberflächen nutzen viele Webdesigner Tools wie Uizard. Sie können Skizzen schnell in digitale Formate umwandeln und innovative Benutzeroberflächen entwerfen. Dies verbessert nicht nur die Qualität des Designs, sondern spart auch viel Zeit im Entwicklungsprozess.

Werbetexter

Chatbots wie ChatGPT oder Jasper AI können unter anderem als Sparringspartner für kreatives Brainstorming eingesetzt werden. So kann man sich Listen mit passenden Slogans für unterschiedliche Zielgruppen vorschlagen lassen. Auch erste Textideen können mit den Tools generiert werden. Über entsprechende Eingabeaufforderungen (Prompts) können Ton und Stil der Texte angepasst werden. Dies ist besonders relevant für die Konsistenz der Markenstimme in verschiedenen Ländern und Märkten. Auch bei der SEO-Optimierung unterstützen KI-Tools. ChatGPT etwa hilft bei der Erstellung von Textentwürfen, während Writesonic über 100 Inhaltsvorlagen bietet, die speziell für SEO optimiert sind. Die Tools ermöglichen die schnelle Erstellung hochwertiger und relevanter Inhalte, die sowohl für Suchmaschinen als auch für verschiedene Zielgruppen attraktiv sind.

Grafiker und Webdesigner

Für die visuelle Gestaltung von Kampagnen sind Tools wie Midjourney und Adobe Firefly sehr hilfreich. Midjourney hilft bei der Erstellung von Grafiken und Bildern auf Basis von Textvorgaben, während Adobe Firefly mit seiner generativen Füllfunktion insbesondere die Bildbearbeitung erleichtert. Diese Tools werden gerne bei der Erstellung von Social-Media-Creatives und Printwerbung eingesetzt, da sie eine schnelle und effiziente Produktion von visuellen Inhalten ermöglichen.

Journalisten

Wir haben AGEV-Redakteur Christoph Steinhauer zum Einsatz von KI in seinem Berufsfeld befragt: „Bei meiner journalistischen Arbeit erlebe ich die größte Zeitersparnis bei der Transkription von Audio-Interviews und bei der Korrektur von Texten“, sagt er. Mit einem Tool wie GoSpeech lasse sich die Zeit für die Transkription von aufgezeichneten Interviews (vorausgesetzt, die Qualität stimmt) um mindestens 75 Prozent reduzieren, das Tool DeepLWrite verkürze die Korrekturzeit um etwa die Hälfte. „Bei der Recherche – zum Beispiel mit Perplexity – ist die Zeitersparnis ebenfalls signifikant, ich schätze, dass ich hier etwa 30 Prozent der Zeit einspare. Beim eigentlichen Schreiben kann ich allerdings kaum eine Verbesserung feststellen. Das liegt zum einen an meinem Qualitätsanspruch und zum anderen daran, dass ich die für das Transkribieren, Recherchieren und Korrigieren gesparte Zeit für den Schreibprozess nutze. Insgesamt ist der Zeitgewinn also gar nicht so groß. Aber das ist vielleicht von Person zu Person unterschiedlich“, räumt er ein.

Die Grenzen der KI-Hilfe

Natürlich könne ChatGPT auch ganze Beiträge für fast jeden Zweck erstellen. Doch seiner Erfahrung nach sollte man nicht zu euphorisch sein – es sei denn, es handele sich um Textformen wie einfache Produktbeschreibungen in einem Katalog. „Die KI kann die Arbeit noch nicht ganz allein machen. Wenn der Texter nicht weiß, in welche Richtung der Beitrag gehen soll, und wenn er nicht genau weiß, wie er die entsprechende Aufforderung formulieren soll, kann die Zeitersparnis schnell wieder verloren gehen, weil die Ergebnisse nicht brauchbar sind. Man muss sich also der Grenzen dieser Werkzeuge bewusst sein. Die Ergebnisse bedürfen immer einer menschlichen Überprüfung und Überarbeitung. Denn vieles, was ChatGPT als Output ausspuckt und auf den ersten Blick als rund und fertig erscheinen mag, hält einer genaueren Überprüfung selten stand. Menschliche Arbeit wird dadurch keineswegs überflüssig. Im Gegenteil: Ohne menschliche Kontrolle und Nachbearbeitung produziert KI oft nur Floskeln oder gar Fehler – etwa die sogenannten Halluzinationen. Für wirklich gute Ergebnisse braucht es nach wie vor die Erfahrung und Subjektivität echter Menschen“, so die Einschätzung des Redakteurs.

Der Nutzen steht und fällt mit der Qualität der Prompts

Wie der KI-Experte Michael Weckerlin im Interview deutlich macht, entfaltet sich der wahre Wert von Chatbots erst, wenn sie mit guten Prompts gefüttert werden. Genau hier liegt der Produktivitätsgewinn – aber auch die Crux bzw. der Grenznutzen von KI-Tools. Der Aufwand, die Prompts so exakt und präzise zu formulieren, muss in einem vernünftigen Verhältnis zum gewünschten Ergebnis stehen. Jeder kennt die Situationen, in denen man jemandem bestimmte Aufgaben, die man selbst sehr gut beherrscht, erklären muss und dabei feststellt, dass man sie in der Zeit, die man für die Erklärung benötigt, längst selbst hätte erledigen können – oder: die Ergebnisse der delegierten Arbeit so intensiv nachbearbeiten muss, dass man selbst schneller zum Ergebnis gekommen wäre. Dieses Problem wird jedoch umso geringer, je vertrauter der Anwender mit dem Prompting wird und je intelligenter die KI-Werkzeuge in Zukunft werden.

KI auf dem Weg zum persönlichen Assistenten

Letztlich muss jeder für sein eigenes Arbeitsumfeld herausfinden, ob und wie er KI-Tools einsetzen möchte. Dabei sind auch rechtliche Aspekte zu beachten, die in unserem Interview mit Rechtsanwalt Christian Solmecke und auch in unserem Hörtipp angesprochen werden. Manche Freiberufler befürchten vielleicht, dass ihre Expertise durch KI bald nicht mehr gefragt sein wird. Doch solche Befürchtungen sind unbegründet. Scott Galloway, Professor für Marketing an der Stern School of Business in New York, hat es in seiner Rede auf dem OMR Digital Marketing Festival 2024 treffend formuliert: „Sie werden nicht durch KI ersetzt, sondern durch jemanden, der mit KI arbeitet.“ Aus seiner Sicht wird die menschliche Arbeitskraft also nicht überflüssig, solange sie bereit ist zu lernen, wie sie die neuen Werkzeuge produktivitätssteigernd für ihre Arbeit nutzen kann.

So wie der Taschenrechner uns befähigt hat, schneller und präziser als je zuvor zu rechnen und Google uns nahezu das gesamte Wissen des Internets mit nur wenigen Klicks zugänglich gemacht hat, so unterstützen uns Chatbots wie ChatGPT wie ein ständig verfügbarer persönlicher Assistent – insbesondere bei den wiederkehrenden und manchmal lästigen Aufgaben. Galloway vergleicht Chatbots daher auch mit einer aufgebohrten Suchmaschine, die nicht einfach nur Webseiten findet, sondern die Suchergebnisse für uns so aufbereitet, dass wir nicht mehr so viel Zeit in die Selektion, Edition, Formatierung und Korrektur der Suchergebnisse investieren müssen. Im besten Fall können wir die gesparte Zeit nutzen, um Dinge zu tun, die KI-Tools (noch?) nicht so gut können.

Liste mit Anwendungsbereichen und KI-Tools (Beispiele):

 

1. Büroarbeit und Verwaltung

Anwendungen: Automatisierung repetitiver und zeitaufwändiger Aufgaben, Unterstützung beim Schreiben, Zusammenfassung von Inhalten, Recherche, Datenaufbereitung, Übersetzung, Textkorrektur.

Tools:

  • ChatGPT/CoPilot/Gemini (ChatBots)
  • DeepLTranslator (KI-gestützte Übersetzung)
  • DeeplWrite (Texte korrigieren und verbessern)
  • Grammarly (Rechtschreibkorrektur)
  • QuickBooks AI (Buchhaltung)
  • Kickresume (Lebenslauf-Optimierung)

 

2. Bildung und Forschung

Anwendungen: Unterrichtsvorbereitung, Plagiatserkennung, Transkription von Vorlesungen, Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden, Datenanalyse, Übersetzung, Textkorrektur

Tools:

  • Consensus (KI-Suchmaschine für Wissenschaftler)
  • Power BI (Datenvisualisierung)
  • College Tools (KI-Tools speziell für Studierende)
  • INK (KI-Autor)

 

3. Marketing und SEO

Anwendungen: Zielgruppenanalyse, Content-Generierung, SEO-Optimierung, Grafikdesign, Videobearbeitung, Automatisierte Kundenkommunikation, Übersetzung, Textkorrektur etc.

Tools:

  • ContentBot (AI-Writer für Bloginhalte)
  • Adobe Firefly (Generierung kreativer Inhalte/Ideen)
  • DALL-E, Midjourney (Grafikerstellung)
  • Genesys Cloud (Kundenkommunikationsplattform)
  • Zigmund (Analyse von Website-Besuchern),
  • Semrush, Ahrefs (SEO Writing Assistant, Keyword-Analyse)

 

4. Web- und Softwareentwicklung

Anwendungen: Unterstützung bei der Programmierung, Code-Generierung, Fehlerbehebung.

Tools:

  • GitHub Copilot (Code-Generierung)
  • Tabnine (Code-Optimierung)
  • Codestral (Code-Generierung)
  • Cody AI (Fehlersuche)
  • Replit (Programmiersprachen lernen)
  • Uizard (Digitalisierung von Skizzen)
  • Stepsize AI (Unterstützung des Software-Projektmanagements)

 

5. Journalismus und Texterstellung

  • Perplexity (Mächtiges KI-basiertes Recherchetool)
  • GoSpeech (Transkription gesprochener Sprache)
  • ai (Automatisierte Erstellung von Social-Media-Content)
  • DeepL Write (Textkorrektur und -überarbeitung)
  • Hemingway (KI-gestützte Textverbesserung)
  • Google Pinpoint (Datenanalyse und Mustererkennung)
  • tech (KI-gestützte Zusammenfassung von Videoinhalten)

Richtig prompten:

 

1. Rolle zuweisen:

    • Beginnen Sie den Prompt mit einer klaren Rollenbeschreibung

Beispiel: „Du bist ein Marketing-Manager.“

 

2.  Ziele klar formulieren:

    • Definieren Sie das Ziel des Prompts deutlich.

Beispiel: „Erstelle einen Marketingplan für ein neues Produkt.“

 

3. Zielgruppe benennen:

    • Geben Sie an, für wen die Antwort bestimmt ist.

Beispiel: „Der Plan soll für das Management-Team sein.“

 

4. Kontext und Details angeben:

    • Bieten Sie genügend Hintergrundinformationen und relevante Details.

Beispiel: „Das Produkt ist ein Bio-Shampoo für trockenes Haar.“

 

5. Klare Anweisungen verwenden:

    • Nutzen Sie eindeutige und präzise Aktionsworte.

Beispiel: „Analysiere die Markttrends und nenne die Hauptkonkurrenten.“

 

6. Ergebnis auf Korrektheit prüfen:

    • Überprüfen Sie die generierte Antwort auf inhaltliche und logische Korrektheit.

Beispiel: „Stimmen die genannten Markttrends und Konkurrenten?“

 

7. Länge und Struktur angeben:

    • Bestimmen Sie die gewünschte Länge und Struktur des Outputs.

Beispiel: „Der Plan sollte 500 Wörter umfassen und in Abschnitte unterteilt sein.“

 

8. Iteratives Ausbessern:

    • Verfeinern Sie den Prompt basierend auf den erhaltenen Antworten. Falls die Antwort nicht zufriedenstellend ist, passen Sie den Prompt immer wieder an.