Über Kostenwahrheit zu grünem Wachstum
Zu ihrem Unternehmertreff unter dem Titel „Wirtschaft und Klima – bedacht statt naiv“ hatte die AGEV Ende September David Stadelmann, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth eingeladen. Der Ökonomieexperte skizzierte in seinem Vortrag den Zielkonflikt Wachstum versus Klimaschutz, das Phänomen „Klimanaivität“ sowie den ökonomischen Ansatz „Kostenwahrheit“ – und regte damit eine lebhafte Diskussion an.
In der breiten gesellschaftlichen und politischen Diskussion wird Wirtschaftswachstum automatisch mit CO2-Emissionen in Verbindung gebracht. Das stimmt heute nicht mehr, insbesondere nicht in den hochentwickelten Volkswirtschaften, stellte Prof. Dr. David Stadelmann in seinem Online-Vortrag fest. „Wenn wir die CO2-Intensität der Produktion weltweit betrachten, dann sinkt sie seit Jahrzehnten kontinuierlich. Wir produzieren weltweit effizienter und klimafreundlicher.“ Anhand von Diagrammen verdeutlichte der Volkswirt den Trend. Höheres Wirtschaftswachstum geht demnach mit weniger CO2-Ausstoß pro Kopf einher. Allerdings gebe es zwei Phänomene, die diesen Effizienzgewinn völlig überlagern: das weltweite Bevölkerungswachstum sowie ein Wirtschaftswachstum, das deutlich schneller ist als der Effizienzgewinn – etwa in Ländern wie China oder Indien. Dadurch würden die weltweiten CO2-Emissionen trotz Effizienzsteigerung stark ansteigen.
Phänomen Klimanaivitat
„Die europäischen CO2-Emissionen sind insgesamt zurückgegangen. Das Problem ist nur: Es ist mehr oder weniger egal, was wir hier in Europa tun, die großen zusätzlichen Emissionen kommen von anderswo und kompensieren alles, was wir potenziell reduzieren können“, so der Ökonom. Natürlich seien Deutschland und Europa trotzdem in der Pflicht, Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu ergreifen. Jedoch funktioniere Klimaschutz nur, wenn er international angelegt ist. Er warnte vor einer nicht zielführenden „Klimanaivität“, die er in zwei unterschiedliche Grade einteilte. Die Klimanaivität ersten Grades: Wenn Klimaschutzmaßnahmen völlig unabhängig davon ergriffen werden, welche Kosten sie verursachen und ob andere Länder ebenfalls Maßnahmen ergreifen. Die Klimanaivität zweiten Grades: Das Vertrauen auf internationale Klimaabkommen wie das von Paris oder Kyoto. Denn die nationalen Selbstverpflichtungen, auf die das Übereinkommen setzt, seien nicht verlässlich. Es gebe immer Länder, die nicht handeln, weil ihnen in der Welt von heute die Anreize fehlen.
Blick auf die Studienlage zu Klimawandelkosten
Zunächst sei es wichtig, einen Blick auf die Berechnungen der Kosten und negativen Auswirkungen des Klimawandels zu werfen. David Stadelmann stellte einige Studien vor, die anhand verschiedener Temperaturszenarien die Kosten des zu erwartenden Klimawandels bis 2050/2060 berechnen – eine davon vom BMWK, eine weitere aus den USA. Schaut man sich die Milliardenkosten je nach Erwärmungsgrad genauer an, stelle man studienübergreifend fest, dass die Schäden bzw. der Verlust an Wirtschaftsleistung – Klimaanpassungsmaßnahmen wie Küstenschutz, Neupflanzungen, Frühwarnsysteme etc. eingerechnet – einen relativ geringen Prozentsatz des jährlichen BIP ausmachen. „Wir reden natürlich immer noch über relevante Kosten, aber nicht über den Weltuntergang“. Natürlich blieben Risiken, die heute noch niemand erkennen könne. Franz J. Grömping verwies in einem Zwischenkommentar auf Studien, die weit höhere Kosten errechnen, weil sie zum Beispiel das Artensterben mit einbeziehen.
Der Weg zu echten Lösungen
„Wir brauchen den Dreiklang von nachhaltiger Gesellschaft, nachhaltiger Umwelt und nachhaltiger Wirtschaft, der ein grünes Wachstumspotenzial entfalten kann“, sagte Referent David Stadelmann, bevor der den ökonomischen Ansatz vorstellte, der von über 3.600 Wirtschaftswissenschaftlern weltweit, unter anderem 28 Nobelpreisträgern in Ökonomie, vertreten wird. Dieser Ansatz lautet: Kostenwahrheit bzw. Verursachergerechtigkeit als Gesamtkonzept. Ein im Grunde einfacher Ansatz, bei dem es darum geht, die Kosten des zu erwartenden Klimawandels und seiner Schäden so gut wie möglich abzuschätzen und denjenigen anzulasten, die dazu beitragen, dass mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt.
Der Ansatz konkret: Eine einheitliche CO2-Abgabe von ca. 50 EUR/t, die Einnahmen des Staates fließen über Steuersenkungen an die Bürger zurück – und im Gegenzug werden viele andere Klimaregulierungen und Subventionen abgeschafft. „Das heißt, wenn wir das Schlechte bepreisen, brauchen wir viele Regulierungen und Subventionen im Klimaschutz nicht mehr“, erklärte Stadelmann. Deutschland, ein Land mit besonders hohen Steuern, viel Regulierung und Bürokratie, könne hier durchaus eine Vorbildfunktion einnehmen. „Andere Länder werden dann hoffentlich nachziehen, wenn sie sehen, dass Klimaschutz ein Wachstumsprogramm ist“, schloss der Ökonom seinen Vortrag – mit dem Hinweis, dass hier dicke Bretter zu bohren seien, weil mit Gegenwehr aus der Politik, von Großindustrie und Interessengruppen und aus dem Bürokratieapparat zu rechnen sei.
Auch interessant: Lesen Sie zum Thema auch den Gastbeitrag „So könnte Deutschland zum Klimavorbild werden“ von David Stadelmann und Reiner Eichenberger im Spiegel.
Über David Stadelmann
Seit 2013 ist Prof. Dr. David Stadelmann Professor für Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung (Ruf im Alter von 29 Jahren) an der Universität Bayreuth. Seine Forschungsschwerpunkte: politische Ökonomie, wirtschaftliche Entwicklung, Wirtschaftspolitik und außermarktliche Ökonomie. Er ist unter den TOP-Young-Economists im deutschsprachigen Raum nach Forschungsmonitoring. Seit 2015 ist David Stadelmann Mitherausgeber der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift KYKLOS–International Review for Social Sciences. Er ist zudem Autor von über 80 wissenschaftlichen Artikeln in weltweiten Fachzeitschriften. Er verfasste über 150 Zeitungs-, Zeitschriftenartikel sowie Blogbeiträge. Er erhielt u. a. Auszeichnungen durch die Ludwig-Erhard-Stiftung, das Land Vorarlberg, den Verein für Socialpolitik und die Zeitschrift Capital.
Mehr Informationen: Universität Bayreuth
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