Bremst nur aus: die „zerstörerische Wirkung“ des Statusfeststellungsverfahrens – und was passieren muss

Die praktischen Auswirkungen des Statusfeststellungsverfahrens in seiner jetzigen Form sind verheerend. Fachkräfte werden abgeschreckt, erfolgreiche Selbstständige aus dem Markt gedrängt. Was ist zu tun, damit sich das ändert? Interessenverbände machen Vorschläge – von Praktikern, die es wissen müssen.

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Bis zum Sommer 2027 will der Gesetzgeber evaluieren, ob das im April 2022 reformierte Statusfeststellungsverfahren beibehalten oder erneut angepasst werden soll. Wie wirkt sich das Prüfverfahren, das feststellen soll, ob jemand scheinselbständig ist oder nicht, in seiner derzeitigen Form aus? Die Kritik ist laut und wird von Selbstständigen und Freiberuflern aus vielerlei Gründen geäußert: Selbstständige sehen sich zunehmend einer Beweislastumkehr ausgesetzt und in die Rolle des Beschuldigten gedrängt. Zudem wird das Verfahren als „Auftragsverhinderer“ wahrgenommen, da Auftraggeber aus Angst vor Scheinselbstständigkeit und möglichen Nachforderungen zunehmend zögern, Freie zu beauftragen. Darüber hinaus führt das Stichprobenverfahren zu Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsverzerrungen, da ein als scheinselbstständig eingestufter Selbstständiger in existenzielle Schwierigkeiten geraten kann, während nicht überprüfte keine Nachteile erleiden. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt ist die mit dem komplizierten Verfahren verbundene Bürokratie, die zu überbordendem Aufwand für die Bereitstellung von Unterlagen und Informationen – und im schlimmsten Fall zu kostenintensiver Rechtsberatung führt. Davon sind Auftraggeber und Freiberufler gleichermaßen betroffen. Die Folge: Abschreckung, Verunsicherung und Zurückhaltung sowie fehlende Zeit, die bei beruflichen Einzelkämpfern ohnehin knapp ist.

Für Rechtsexperten überwiegen Verschlechterungen

Dass das Statusfeststellungsverfahren in seiner jetzigen Form für Rechtsunsicherheit sorgt und Auftraggeber wie Auftragnehmer abschreckt, spiegelte sich auch auf der Onlinekonferenz wider, zu der der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv) im Juni eingeladen hatte. Sozialrechtsexperten, Selbstständige, zuständige Fachpolitiker sowie der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, nahmen teil und diskutierten kontrovers. Auf der Konferenz stellte der VGSD auch seine Umfrage unter 75 Experten für Sozialrecht vor – darunter vor allem Anwälte und Rentenberater. Deren Antworten zeigen große Zweifel an der Unabhängigkeit der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Die Umfrage belegt zudem, dass die vor zwei Jahren mit heißer Nadel gestrickte Reform ihre Ziele – mehr Rechtssicherheit, schnellere Verfahren und weniger Bürokratie – nicht erreicht hat. In allen drei Punkten sehen die Experten eher Verschlechterungen als Verbesserungen.

Studie belegt „zerstörerische Wirkung“

In diese Kerbe schlägt auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit seiner aktuellen Studie „Unternehmerisches Selbstverständnis von Selbstständigen in Deutschland“. Dafür wurden 6.300 Selbstständige und Freiberufler befragt. Fast 60 Prozent derer, die ein Statusfeststellungsverfahren durchlaufen, geben an, dass sie deutlich mehr Aufwand betreiben müssen, um neue Aufträge zu akquirieren – rund ein Drittel verliert sogar Aufträge. Vor allem junge Selbstständige mit überdurchschnittlichen Gewinnen und Geldreserven erwägen, ihre Selbstständigkeit zu beenden oder ins Ausland abzuwandern. Besonders betroffen sind junge, gut ausgebildete IT-Freelancer, deren Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Allein die latente Bedrohung durch das bürokratische Verfahren schreckt viele ab. „Das Statusfeststellungsverfahren entfaltet seine zerstörerische Wirkung, und das egal, ob man ein Statusfeststellungsverfahren selbst macht oder nicht“, kritisiert Holger Schäfer, Senior Economist beim IW.

Aktiv werden: Sechs wichtige Verbesserungsvorschläge der Interessenverbände

– Bindung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) an von ihr getroffene Statusentscheidungen, Änderungen nur mit Wirkung in die Zukunft – wie es bis 2007 auch bei Betriebsprüfungen geltendes Recht war.

– Eine zeitgemäße Definition von unternehmerischem Risiko, die selbstständige Wissensarbeit ohne großen Kapitaleinsatz anerkennt.

– Kürzere und weniger missverständliche Fragebögen – 89 Prozent der Experten gaben an, dass die Fragebögen nur mithilfe eines Anwalts richtig ausgefüllt werden können.

– Die Klarstellung, dass in der Natur der Tätigkeit liegende Arbeitsbedingungen kein Kriterium gegen eine Selbstständigkeit sind. Zum Beispiel muss agiles Arbeiten und die dafür nötige Kommunikation mit dem Kunden in IT-Projekten wieder ermöglicht werden.

– Positivkriterien für Selbstständigkeit, beispielsweise die Höhe des Tagessatzes relativ zu vergleichbaren Angestellten, das Vorliegen einer angemessenen Altersvorsorge, das Vorhandensein einer Kapitalgesellschaft oder von sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitenden.

– Prüfung der Person des Selbstständigen und seiner Tätigkeit statt Prüfung jedes einzelnen Auftrags. Aktuell wird von der DRV nicht das Gesamtbild berücksichtigt, zum Beispiel wie viele andere Auftraggeber ein Selbstständiger noch hat.

Lesen Sie zum Thema auch die vollständige Präsentation „Was hat die SFV-Reform gebracht? Wie erreichen wir mehr Rechtssicherheit?“ von VGSD und bagsv mit der Einschätzung der Experten zu den Folgen der Rechtsunsicherheit, der Wirksamkeit der Reform und ihren fünf Einzelmaßnahmen sowie der wirksamsten Lösungsmöglichkeiten.