Chancen und Risiken der Wasserstoffwirtschaft

Sogenannter grüner Wasserstoff gilt in Deutschland als eine der größten Hoffnungen, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Die überarbeitete nationale Wasserstoffstrategie soll die Weichen für den Umbau der fossilen Wirtschaft stellen. Auf dem Papier klingt das gut, doch Kritiker zweifeln an der Machbarkeit dieser Jahrhundertaufgabe.

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Wasserstoff (H2) ist zwar in Wasser (H2O) gebunden nahezu unbegrenzt verfügbar, aber leider nicht in seiner reinen Form. Deshalb können wir Wasserstoff nicht wie Erdgas fördern, sondern müssen ihn beispielsweise durch Elektrolyse herstellen. Der große Vorteil: Wird Wasserstoff in einer Brennstoffzelle zur Energie- oder Wärmegewinnung verbrannt, entstehen nur Wasser und Wärme, aber kein CO2 wie bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Das macht ihn für die Wende zur Klimaneutralität so interessant.

Doch die Nutzung von Wasserstoff zur Energiegewinnung ist nicht ohne Risiken und erfordert große Anstrengungen. Um die Dimension der Aufgabe zu verdeutlichen, ist ein Blick auf den Primärenergiebedarf Deutschlands hilfreich. Denn meist wird nur vom Strombedarf gesprochen, was aber keineswegs dasselbe ist. Primärenergie ist die noch nicht umgewandelte Energie eines natürlich vorkommenden Energieträgers. Dabei kann es sich um fossile Varianten wie Erdgas, Erdöl oder Kohle oder um regenerative wie Sonnenlicht oder Wind handeln. Sonnenlicht kann keine elektrischen Geräte direkt betreiben, sondern muss erst in einer Solarzelle in Strom umgewandelt werden. Strom oder aus Erdöl gewonnenes Benzin bezeichnet man deshalb als Sekundärenergie.

82,8 Prozent des Primärenergiebedarfs durch fossile Energieträger

Wenn das Umweltbundesamt angibt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Stromverbrauch in Deutschland im Jahr 2022 bereits 46,2 Prozent betragen hat, so täuscht diese Zahl darüber hinweg, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergiebedarf mit nur 17,2 Prozent deutlich geringer ausfällt. Da noch längst nicht alle verbrauchte Energie durch Strom erzeugt wird, ist der gesamte Primärenergiebedarf viermal so hoch wie der reine Strombedarf. Mit anderen Worten: 82,8 Prozent der gesamten in Deutschland benötigten Energie wird auch 2023 noch durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe erzeugt. Denn damit betreiben wir den größten Teil unserer Heizungen und Autos, die Hochöfen unserer Industrie und erzeugen damit immer noch mehr als die Hälfte des benötigten Stroms.

Ausbau erneuerbarer Energien muss forciert werden

Im Gebäudesektor sind die Möglichkeiten begrenzt, Öl- und Gasheizungen durch dezentrale, solar unterstützte Heizungen (z. B. Wärmepumpen) zu ersetzen. Denn höchstens ein Viertel der insgesamt rund 40 Millionen Haushalte in Deutschland verfügt über die notwendigen Dachflächen für Solarkollektoren. Das sind überwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser im ländlichen Raum. In den dicht bebauten Städten mit oft zehn und mehr Wohneinheiten in einem Gebäude stehen nicht genügend geeignete Dachflächen pro Wohneinheit zur Verfügung. Auch der direkte Betrieb von Heizungen mit Wasserstoff ist noch eine Utopie, da es den gewünschten grünen Wasserstoff noch nicht gibt – und wenn, dann zunächst nur für industrielle Zwecke, wie wir noch sehen werden.

Das alles wäre kein Problem, wenn der Strommix der Energieversorger eines Tages zum größten Teil aus erneuerbaren Energien bestünde. Das Problem ist nur, dass der Strombedarf durch mehr Wärmepumpen und mehr Elektroautos im Vergleich zu heute enorm steigen wird. Deshalb befürchten einige Experten, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht so schnell vorankommt, wie es nötig wäre, um den rasant steigenden Bedarf zu decken. Denn auch beim Ausbau der Windenergie sieht es nicht gut aus. Die Zahl der neu genehmigten Windkraftanlagen ging in den ersten drei Quartalen 2022 um 16,2 Prozent zurück. „Da die Genehmigungen den zukünftigen Zubau darstellen, ist diese Situation besorgniserregend“, beklagt der Bundesverband Windenergie.

Gelingt es nicht, die Nutzung von Sonnen- und Windenergie massiv auszubauen, könnte der heute noch hohe Anteil von 46,2 Prozent Ökostrom am Strommix sogar wieder sinken, weil dann wegen der steigenden Nachfrage noch mehr Kohle und Gas verstromt werden müssten. Diese Kritik äußerte zuletzt unter anderem der ehemalige Präsident des Ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn. Weil es zu wenig Strom aus erneuerbaren Quellen gebe, würden mehr Elektroautos und mehr Wärmepumpen zwangsläufig zu mehr Braunkohleabbau und mehr Kohlenstoff in der Luft führen.

Deckung des Strombedarfs der Industrie durch Wasserstoff

Da es an der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und der notwendigen Infrastruktur noch lange mangeln wird, ist in absehbarer Zeit nicht mit einem flächendeckenden Einsatz in privaten Heizungsanlagen und in Pkw zu rechnen. Dennoch setzt die Bundesregierung auf Wasserstoff und hat dabei vor allem die Stromerzeugung, den Energiebedarf der Industrie und den Schwerlastverkehr im Blick. Allein die Industrie verbraucht heute rund die Hälfte des verfügbaren Stroms. Hier könnte Wasserstoff nach Meinung vieler Experten eine Wende bringen. Zum Beispiel bei der Stahlerzeugung: Wo heute noch Kohle eingesetzt wird, soll es künftig Wasserstoff tun – wie bei ThyssenKrupp in Duisburg. Wasserstoff lässt sich wie Gas in flüssiger Form speichern und auch transportieren. Damit eignet er sich als grundlastfähiger Energiespeicher und könnte den Nachteil der Wetterabhängigkeit von Sonne und Wind ausgleichen. Hier setzt die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung an: „Nur mit Wasserstoff lassen sich große Teile von Industrie und Verkehr klimafreundlich gestalten“, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Wasserstoffstrategie der Bundesregierung

Grüner Wasserstoff ist heute jedoch kaum verfügbar und seine Herstellung durch Elektrolyse ist energieintensiv. Deshalb sind die Produktionskosten noch sehr hoch. Bis 2030 will die Bundesregierung zehn Gigawatt zusätzliche Elektrolysekapazität aufbauen. Damit sollen 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs gedeckt werden. Um dies zu ermöglichen, fördert das Bundesforschungsministerium die Wasserstoff-Leitprojekte H2Giga und H2Mare. H2Giga bringt Elektrolyseure für die Wasserstoffstrategie zur Serienreife, H2Mare entwickelt Technologien zur Produktion von Wasserstoff und Wasserstoff-Folgeprodukten auf hoher See.

Neben dem Transport im Inland wird Deutschland aber auch Wasserstoff in großen Mengen importieren müssen. Zum Beispiel aus Norwegen oder Saudi-Arabien, wo der Strom für die Elektrolyse aus regenerativen Quellen wie Wasserkraftwerken oder großen Solaranlagen in der Wüste gewonnen wird. Der verflüssigte Wasserstoff soll dann über Pipelines und Frachtschiffe nach Deutschland gebracht und von hier aus in die großen Industriezentren verteilt werden. Für die notwendige Infrastruktur könnte sogar das bestehende Erdgasnetz genutzt werden. „Der erste Schritt ist die Planung eines Wasserstoff-Kernnetzes – der ‚Wasserstoffautobahnen‘“, so das BMWK. Bis 2027/28 soll dieses Kernnetz mehr als 1.800 Kilometer um- und neugebaute Wasserstoffleitungen umfassen. Dafür sind jedoch umfangreiche Anpassungen und Erweiterungen notwendig. Wer diese Infrastruktur finanziert, ist noch nicht abschließend geklärt.

Ist grüner Wasserstoff wirklich billig?

Oft wird behauptet, dass Sonne und Wind „nichts kosten“. Doch das ist eine sehr verkürzte Annahme. Denn sowohl bei der Umwandlung von Sonnenlicht oder Wind in Strom als auch beim Transport des Stroms entstehen enorme Verluste der ursprünglichen Primärenergie, zum Beispiel in Form von nicht nutzbarer Abwärme. Deshalb haben zum Beispiel Solarzellen nur einen Wirkungsgrad von 25 bis 40 Prozent, bei Windkraftanlagen sieht es nicht viel besser aus. Eine Brennstoffzelle im Auto hat dagegen einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad von 60 Prozent. Je nach Anwendung kann eine Brennstoffzelle sogar einen Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent erreichen. Das ist aber nur der Wirkungsgrad der Zelle und berücksichtigt nicht, dass zur Herstellung des Wasserstoffs Strom benötigt wird, dessen Erzeugung aus regenerativen Energien – wie oben erläutert – ebenfalls mit Verlusten verbunden ist. Außerdem muss der Wasserstoff für Transport und Speicherung verflüssigt werden, um dann für die Nutzung wieder verstromt zu werden. Auch hier entstehen Verluste.

Gerade bei grünem Wasserstoff gibt es besonders viele solcher Umwandlungs- und Transportschritte und damit besonders viele Verluste. Hinzu kommt, dass für die Umwandlung der regenerativen Primärenergie technische Anlagen wie Solarzellen und Windräder benötigt werden. Deren Herstellung, Installation und Wartung kostet natürlich auch Energie und Geld. Um den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird, braucht es zudem Stromtrassen, Stromnetze und Speichermöglichkeiten. Das bedeutet: Von der gesamten Energieerzeugung, Speicherung, Transport und Rückverstromung gelangt nur etwa ein Viertel bis ein Drittel in die Anwendung.

Rechnet man die gigantischen Kosten für die noch nicht vorhandenen Erzeugungskapazitäten und die fehlende Infrastruktur auf den Strompreis um, könnte Strom aus grünem Wasserstoff unbezahlbar werden, befürchtet André D. Thess, Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart (zum Interview). Auch der Energieriese RWE hat der Bundesregierung unlängst deutlich gemacht, dass er nur dann in Wasserstoff investieren will, wenn er entsprechende Subventionen erhält.

Einbeziehung der Gesamtkosten fossiler Energieträger

Natürlich benötigt jede Technologie zu Beginn hohe Subventionen. Das war zum Beispiel bei der Kernenergie oder beim Aufbau der Strom- und Gasnetze auch der Fall. Ist die Infrastruktur aber erst einmal vorhanden, sind Investitionen für lange Zeit nicht mehr notwendig. Zudem werden Skaleneffekte und technologischer Fortschritt dafür sorgen, dass die Preise für die Elektrolyse oder auch für Solarzellen mit der Zeit sinken. So hat ein Team der Tel Aviv University (TAU) kürzlich ein Verfahren zur Wasserstoffgewinnung entwickelt, das einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent haben soll. Sollte sich das in großtechnischen Anwendungen bestätigen, wäre das ein Durchbruch.

Besonders optimistisch ist Professor Michael Sterner von der Universität Regensburg: Für ihn ist die Energie- und auch die Mobilitätswende rein technisch schon heute kein Problem mehr. Aber auch die langfristige Finanzierung hält er für machbar und rechnet deshalb nicht mit unbezahlbaren Strompreisen: „Die Kilowattstunde kann heute schon für vier bis sechs Cent klimafreundlich bereitgestellt werden. Das ist halb so teuer wie neuer Gas-, Kohle- oder Atomstrom.“ Zudem seien die Folgekosten der Klimaschäden durch die Verbrennung fossiler Energieträger im heutigen Strompreis nicht eingerechnet. Das sei aber ehrlicherweise nötig, etwa über einen entsprechend hohen CO2-Preis. Die Energiewende sei daher deutlich günstiger als ein Festhalten an fossilen Energieträgern oder gar der Atomenergie mit ihren nicht eingerechneten Kosten, etwa für die sichere Endlagerung des Jahrtausende strahlenden Atommülls.

Andere Experten und Expertinnen wie Monika Derflinger, Mitglied im Fachausschuss Wasserstoff und Brennstoffzellen des VDI-Fachbereichs Energietechnik, mahnen zu einem rationalen Ansatz beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Bei allem Verständnis für den Wunsch, möglichst schnell Klimaneutralität zu erreichen, sollte Wasserstoff nur dort eingesetzt werden, wo es technisch sinnvoll ist und nicht nach dem Motto „Wasserstoff, koste es, was es wolle“.

Lesen Sie zum Thema auch unsere Interviews mit Professor Dr. Thess und Staatssekretär Michael Kellner (Grüne).