„Eine herausragende Rolle im Transformationsprozess spielt der Mittelstand“

Wird der Mittelstand beim Übergang ins Wasserstoff-Zeitalter mitgenommen? Darüber sprechen wir mit Michael Kellner, Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand.

Bildquelle: S. Kaminski

AGEV: Die Kritik vieler Mittelständler lautet, dass sie im Transformationsprozess ausgeschlossen werden. Welche Anreize und Förderungen gibt es für Geschäftsideen und Innovationen kleiner und mittlerer Unternehmen aus dem Wasserstoffbereich?

Michael Kellner: Es gibt viele mittelständische Industriebetriebe, die ihre Produktion nicht völlig elektrifizieren können. Aber auch diese Unternehmen sind gefragt, um unsere Wirtschaft insgesamt klimaneutral zu gestalten. Und das macht Grünen Wasserstoff zu einem zentralen Baustein der Dekarbonisierung. Genau deshalb habe ich das Mega-Thema „Wasserstoff“ zum Schwerpunkt der jüngsten Veranstaltung im Juli gemacht, die wir im Rahmen unseres „Dialog- und Arbeitsprozesses ,Mittelstand, Klimaschutz und Transformation“ durchgeführt haben. Gemeinsam mit Repräsentanten zahlreicher Mittelstandsverbände haben wir Herausforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den Blick genommen – von der Produktion über den Aufbau des Wasserstoffnetzes bis hin zu Wasserstoffanwendungen in verschiedensten Sektoren. Mit dem Thema werden wir uns im Zuge der Umsetzung der neuen Nationalen Wasserstoffstrategie auch weiterhin intensiv auseinandersetzen. Dabei geht es nicht zuletzt um Fragen der Planungssicherheit für Investitionen. Unser Land muss und – davon bin ich überzeugt – wird beim Übergang in das Wasserstoff-Zeitalter ganz vorn mit dabei sein. Und das geht natürlich nur gemeinsam mit dem Mittelstand.

AGEV: Was sind die konkreten Ziele des Dialogs?

Michael Kellner: Oberste Priorität der Bundesregierung ist es, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und den Anstieg der Erderhitzung zu begrenzen. Dieses Ziel können wir nur durch eine Transformation des Wirtschaftens, durch ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und durch mehr Tempo erreichen. Die Gesellschaft wird die Ziele umso stärker mittragen, je mehr sich damit Lebensqualität und Teilhabe konkret verbessern. Eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz, die zugleich die Arbeitsplätze der Zukunft gestaltet und sichert, ist damit die zentrale Aufgabe für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Eine herausgehobene Rolle spielt hierbei der Mittelstand. Der Weg in die klimaneutrale Welt muss für die Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand ein Erfolgsmodell werden und für nachhaltige Wertschöpfung sorgen. Nur dann werden wir die gesellschaftliche und politische Unterstützung für diesen Weg in Deutschland und Europa sichern. Wir werden deswegen die Rahmenbedingungen so setzen, dass der Mittelstand die Transformation erfolgreich bewältigen kann und sich neue Geschäftsmodelle und Technologien entwickeln.

Um zu diskutieren, wie kleine und mittlere Unternehmen auf dem Weg in die Transformation am besten unterstützt werden können, haben wir den Dialog- und Arbeitsprozess Mittelstand, Klimaschutz und Transformation gestartet. Hierbei ist es oberstes Ziel, im engen gemeinsamen Dialog mit Verbänden und Unternehmen des Mittelstands die wichtigsten Handlungsfelder herauszuarbeiten, die nunmehr auch in konkreten Maßnahmen umgesetzt werden. Herzstück ist der Aktionsplan, in dem die Maßnahmen zusammengefasst aufgeführt werden. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen dabei auf den Themen, die im Dialog- und Arbeitsprozess mit den Verbänden sowie in den übermittelten Stellungnahmen als besonders dringlich benannt worden sind: Energiepreise, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit, Fachkräfte, Finanzierung, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Kreislaufwirtschaft, Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung sowie branchenspezifische Maßnahmen.

AGEV: Wird in der überarbeiteten Wasserstoffstrategie der Anschluss mittelständischer Unternehmen an die Wasserstoffinfrastruktur genügend berücksichtigt?

Michael Kellner: Der Bundesregierung ist sich sehr bewusst, dass bei den in Deutschland anstehenden Transformationsprozessen gerade auch der Mittelstand mitgedacht werden muss. Die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS 2023) nimmt auch die besonderen Belange von Unternehmen des Mittelstands in den Blick. Von Bedeutung sind die generellen Maßnahmen der NWS-Fortschreibung, also u. a. dass die Bezugsquellen stark auszuweiten und zu diversifizieren sind, Wasserstoffinfrastruktur geschaffen wird durch Neubau und Umrüstung bestehender Pipelines. Eine erstes Kernnetz soll bis zum Jahr 2027/2028 entstehen. Bis 2032 sollen alle großen Erzeugungs-, Import- und Speicherzentren mit den relevanten Abnehmern verbunden werden. Im Zuge der fortschreitenden Transformation werden zunehmend Erdgasleitungen zur Verfügung stehen, die umgerüstet werden können. Darüber hinaus kann über Wasserstoffhubs eine Versorgung in der Fläche gesichert werden, etwa für mittelständische Unternehmen abseits der großindustriellen Ballungszentren. Letztlich ist das Ziel, eine bedarfsbasierte Wasserstoffnetzplanung einzuführen.

AGEV: Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Transformation zur Wasserstoffwirtschaft?

Michael Kellner: Die größte Herausforderung ist aus unserer Sicht die Gleichzeitigkeit der Prozesse: Die Entwicklung eines Wasserstoffmarktes, also der Markthochlauf, setzt auf allen Stufen anspruchsvolle Umstellungen voraus. Wir müssen von Beginn an sicherstellen, dass ausreichend Wasserstoff angeboten wird. Hierfür setzen wir auf die inländische Erzeugung von grünem Wasserstoff, den wir fördern. Daneben werden insbesondere in der Markthochlaufphase auch Importe aus anderen EU-Mitgliedstaaten und internationalen Partnerländern notwendig. Anwendungsseitig bedarf es erheblicher Transformationen, um mit dem Einsatz von kohlenstoffarmem Wasserstoff die Klimaschutzziele Deutschlands zu erreichen. Der Beschluss der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie ist ein wichtiges Signal: Die Maßnahmen der NWS 2023 umfassen die gesamte Wertschöpfungskette und wurden vielfach bereits parallel zu deren Erarbeitung begonnen, z. B. der Start des Förderprogramms Klimaschutzverträge, oder sind kurzfristig für das Jahr 2023 geplant, wie der Beschluss der Wasserstoff-Importstrategie.

AGEV: Danke für das Gespräch.

Über Michael Kellner

Michael Kellner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist seit 2021 Mitglied des Bundestages, seit Dezember 2021 auch Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Seit Januar 2022 ist der Thüringer unter anderem Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand. Mit über fünfzig Verbänden der mittelständischen Wirtschaft erörtert er im Dialog- und Arbeitsprozess „Mittelstand, Klimaschutz und Transformation“ die zukünftige Produktion und Bereitstellung von Wasserstoff für mittelständische Unternehmen.