Im Gespräch mit Politikern: Warum Deutschland die Reform der Statusfeststellung braucht

Die Parlamentarischen Frühstücke in Berlin sind ein bewährtes Format, bei dem  Interessenvertreter mit Abgeordneten ins Gespräch kommen und für ihre Positionen werben können. Am 8. Oktober saß die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) zum Thema Statusfeststellungsverfahren (SFV) am Tisch, das für Selbstständige zu einer Existenzbedrohung wird. AGEV war dabei.

Bildquelle: Jonas Fartaczek

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV), in der rund 35 Berufs- und Selbstständigenverbände und -initiativen zusammengeschlossen sind, fordert eine umfassende Reform des SFV. Denn die bisherigen Vorschläge der nun gescheiterten Ampel-Koalition sind unzureichend. Das von der Arbeitsgemeinschaft initiierte Parlamentarische Frühstück war daher eine willkommene Gelegenheit, die Berliner Politik aufzurütteln. Ziel der BAGSV-Vertreter: Die Position der Selbstständigen noch einmal deutlich zu machen, in die inhaltliche Diskussion mit den Fachpolitikern einzusteigen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Unter der Schirmherrschaft von MdB Manfred Todtenhausen (FDP) überreichte die BAGSV ihr neues Positionspapier, das die dringende Notwendigkeit einer Novellierung des Statusfeststellungsverfahrens klar adressiert – mit ausführlichen Erläuterungen, Forderungen und Lösungsvorschlägen (siehe unten).

AGEV-Geschäftsführer Franz J. Grömping und Mario Brouwers, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AGEV, die am Berliner Arbeitsfrühstück teilnahmen, blicken vorsichtig positiv auf das Treffen: „Das Interesse war da. Es gibt einen parteiübergreifenden Konsens, dass eine Novellierung des SFV notwendig ist. Jetzt muss diese aber auch kommen, und wir hoffen, dass die Gespräche den Prozess beschleunigen. Der Zeitdruck ist angesichts der miserablen gesamtwirtschaftlichen Lage offensichtlich. Wenn Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen, die massiv zur Innovationskraft unseres Landes beitragen, weiter durch ein veraltetes und intransparentes System behindert werden, verliert Deutschland immer mehr Fachkräfte und den Anschluss an den internationalen Wettbewerb“.

Neu gegründet: Freundeskreis der Selbstständigen

Neben der Möglichkeit, für Anpassungen am SFV zu werben, gab es noch einen weiteren Lichtblick beim Treffen mit der Berliner Politik: Die Gründung des politischen „Freundeskreises der Selbstständigen“. Erste Politiker im Netzwerk sind die Abgeordneten sowie weitere Teilnehmer am Parlamentarischen Frühstück. Das Ziel ist, weiter zu wachsen, noch mehr Persönlichkeiten zu gewinnen, die ein offenes Ohr für die politischen Anliegen und Themen von Selbstständigen haben, sich für ihre Belange einsetzen und im Rahmen des neuen Netzwerks immer ansprechbar sind.

Bildquelle: Jonas Fartaczek

Überblick: Die wichtigsten Kritikpunkte am SFV sowie die zentralen Forderungen der BAGSV:

  • Das Hauptproblem liegt in der Rechtsunsicherheit, die das SFV verursacht. Seit der Reform im April 2022, die von vielen Experten als gescheitert angesehen wird, werden immer mehr Selbstständige mit hohen Nachzahlungen konfrontiert. In einigen Fällen gehen die Forderungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) auf bis zu vier Jahre zurück und bedrohen damit die Existenz der Betroffenen. Besonders kritisch: Selbst bei identischen Auftragsverhältnissen kommen unterschiedliche Prüfer oft zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Diese Unberechenbarkeit schreckt nicht nur Selbstständige ab, sondern auch Unternehmen, die lieber auf Freelancer verzichten, um rechtliche Risiken zu minimieren.
  • Compliance-Maßnahmen, die dadurch erforderlich werden, kosten Zeit und Geld, ohne echte Sicherheit zu bieten. Auftraggeber müssen aufwändige Verträge erstellen und jede Zusammenarbeit detailliert dokumentieren, nur um mögliche Nachzahlungen zu vermeiden. Für große Konzerne hat sich diese Problematik so weit verschärft, dass sie konzernweit die Beauftragung von Selbstständigen ganz verbieten – auch wenn diese dringend benötigtes Fachwissen mitbringen.
  • Besonders Solo-Selbstständige trifft es hart: Statt gut bezahlter Projekte bleibt ihnen oft nur die Option von schlecht bezahlten Jobs über Freelancer-Plattformen. Die Flexibilität, die ihre Arbeit so wertvoll macht, geht dabei völlig verloren.
  • Die BAGSV fordert unter anderem eine Schnellprüfung für Selbstständige, die bei klarer sozialer Absicherung ein langwieriges SFV unnötig macht. Darüber hinaus soll eine Liste von Positivkriterien eingeführt werden, die branchenübergreifend Sicherheit schafft. Zu diesen gehören unter anderem ein über dem Mindestlohn liegendes Stundenhonorar, der Nachweis einer ausreichenden Altersvorsorge und das Vorhandensein mehrerer Auftraggeber.
  • Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Rückkehr zu angemessenen Sanktionen. Viele der heutigen Nachzahlungsforderungen basieren auf völlig überraschenden Gerichtsurteilen, die in der Praxis kaum nachvollziehbar sind. Besonders kritisch: Die DRV legt die Kriterien zur Feststellung von Scheinselbstständigkeit oft so aus, dass dieselben Faktoren je nach Fall anders bewertet werden. Ein und dasselbe Verhalten kann also in einem Fall als Selbstständigkeit gewertet werden, im nächsten aber als abhängige Beschäftigung. Diese Willkür muss ein Ende haben.

Hier geht’s zum Positionspapier der BAGSV im Wortlaut