„Kooperation ist der Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft“
Kreislaufwirtschaftsexperte Matthias Ballweg ist Gründungsmitglied und Direktor der neuen Initiative „Circular Republic“, die sich für mehr Dynamik in der zirkulären Wirtschaft in Deutschland einsetzt. Die Initiative will Unternehmen – egal ob Startup oder etabliert – befähigen, ihre Circular-Economy-Innovationen zu lukrativen Geschäftsmodellen zu entwickeln.
AGEV: Die globale Wirtschaft ist laut dem Circularity Gap Report 2023 nur zu 7,2 Prozent zirkulär. Die Quote ist im Vergleich zu den Daten der letzten Jahre sogar gesunken. Was sagt uns diese Zahl?
Matthias Ballweg: Der Report wirft ein Schlaglicht auf unseren absoluten Ressourcenverbrauch. Solange wir Produkte schlecht auslasten und dann zu viele davon brauchen, wird es uns nicht weiterbringen, dass wir Produkte (von der Bohrmaschine bis zur Verpackung) aus 30, 50 oder 80 Prozent recyceltem Material produzieren. Wir holen zu viele Primärressourcen aus der Erde, selbst wenn wir unsere Anstrengungen in Richtung Nachhaltigkeit erhöhen. Der Auftrag aus dem Circularity Gap Report ist klar: Recycling ist zu wenig, wir müssen auch lernen, die Nutzung von Produkten zu optimieren. Und da Lieferketten in diesen volatilen Zeiten immer öfter reißen und auch die Regulierung immer mehr auf Ressourcenverbrauch schaut, ist in vielen Branchen die Bepreisung der Nutzung sowieso schon das profitablere Geschäftsmodell.
AGEV: Sie sagen, dass es in den 2030er Jahren kein erfolgreiches Geschäftsmodell mehr geben wird, das auf der Ausbeutung von Primärrohstoffen basiert. Wie kann es aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren gelingen, das Potenzial von Sekundärrohstoffen in großem Stil zu heben?
Matthias Ballweg: Die Politik ist verantwortlich, einen systemischen Wandel einzuleiten und die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Ausbeutung von Primärmaterial im Vergleich zu zirkulären Geschäftsmodellen sich nicht lohnt. Aber auch Unternehmer können mit anpacken. Die drei Zutaten lauten Technologieinnovation, Geschäftsmodellinnovation und Zusammenarbeit. Erstmals in der Geschichte haben wir die Sortier- und Trenntechnologien in industriellem Maßstab verfügbar, um gebrauchtes Material wieder in den Kreislauf zu bringen. Digitale Technologien ermöglichen profitable Geschäftsmodelle rund um Sharing, Product-as-a-Service und Reparaturen, weil sie die Kosten für die notwendigen Prozesse massiv reduzieren. Und immer mehr Unternehmen verstehen, dass Wertschöpfung im Team mit Partnerunternehmen für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, der auch noch für alle profitabel sein soll, unerlässlich ist.
AGEV: Ihre Initiative Circular Republic unterstützt Startups und etablierte Unternehmen, Innovationen und Ideen zur Kreislaufwirtschaft in Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wie sieht die Unterstützung genau aus?
Matthias Ballweg: Gemeinsam mit den Incubator- und Accelerator-Programmen von UnternehmerTUM, Europas größtem Zentrum für Innovation und Gründung, bieten wir Trainings, Coachings und Geschäftsmodell-Planspiele an. Außerdem binden wir die Startups aktiv an unsere Projekte mit zahlreichen Stakeholdern an, wo wir mit Partnern wie BMW oder SAP gemeinsam mit den Startups zirkuläre Wertschöpfungsketten bauen. Zum Beispiel arbeiten wir daran, Fahrzeugbatterien ein zweites Leben zu geben oder auch Handschuhen und anderen Textilien.
AGEV: Wie kann Deutschland die Kreislaufwirtschaft vorantreiben? Was muss die Politik konkret tun, um Unternehmen mit Ideen und Innovationen für die Kreislaufwirtschaft optimale Rahmenbedingungen zu bieten?
Matthias Ballweg: Wir müssen wirtschaftliche Erträge richtig und ganzheitlich abbilden und auch den gesellschaftlichen Beitrag von Unternehmen kennen, offenlegen und belohnen. Wir brauchen ordnungspolitische Prinzipien für neue Marktplätze für Emissionen oder Ressourcenverbrauch, wir brauchen innovative Anreize, eine langfristig ausgerichtete öffentliche Beschaffung und einen Paradigmenwechsel in der Steuer- und Subventionspolitik (Anm. d. Red.: Lesen Sie zu dem Thema auch diese AGEV-Positionierung). Dazu gehört eine gesamtgesellschaftliche Vision einer Industrienation Deutschland, deren Industriemodell zunehmend zirkulär, digital unterstützt und vom Ressourcenbedarf entkoppelt ist.
AGEV: Danke für das Gespräch.
Junge Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft
Circular Republic hat eine Startup-Landkarte veröffentlicht, die zeigt, dass junge Unternehmen Kreislaufwirtschaft zunehmend zum Kern ihres Geschäftsmodells machen. 170 Startups hat die Initiative in ihrer aktuellen Übersicht identifiziert. Zur Startup-Landkarte
Über Matthias Ballweg
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler hat vor seiner Tätigkeit bei CIRCULAR REPUBLIC im Beratungsunternehmen Systemiq die globale Circular Economy Platform mitverantwortet. Dabei baute er Koalitionen wie die „Circular Cars Initiative“ auf und war Mitverfasser von Studien zur Umsetzung eines European Green Deal. Er ist unter anderem Beirat und Dozent am Institut für Mobilität der Universität St. Gallen.
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