„Mehr Mut zur Kreislaufwirtschaft“

Zirkuläres Wirtschaften ist ein wichtiger Schlüssel zum Schutz von Klima und Biodiversität, aber auch zur Sicherung alternativer Rohstoffquellen. Dr. Alexander Janz, Experte für Kreislaufwirtschaft im Umweltbundesamt, über die Herausforderungen der Transformation, warum Kreislaufwirtschaft mehr als der intelligente Umgang mit Abfall ist – und Vorschläge an die Politik.

Dr. Alexander Janz (Bildquelle: UBA)

AGEV: Sie fordern eine konsequente Fortentwicklung der aktuellen Kreislauf- und Abfallwirtschaft hin zu einer umfassenden zirkulären Wirtschaftsweise. Warum?

Dr. Alexander Janz: Vorweg möchte ich herausstellen, dass die „klassische“ Kreislauf- und Abfallwirtschaft in Deutschland in den vergangenen fünfzig, sechzig Jahren beim Umwelt- und Gesundheitsschutz Beachtliches geleistet hat. Die Sicherstellung der Kommunalhygiene durch geregelte Müllabfuhr, die Schadstoffeliminierung durch energetische Verwertungsverfahren, das Deponieverbot für nicht vorbehandelte Abfälle oder die Umsetzung des Verursacherprinzips durch die erweiterten Herstellerverantwortung zeichnen den Weg eines nachsorgenden hin zu einem vorsorgenden Umweltschutz nach. Immerhin sind mittlerweile rund 16 Prozent der von der deutschen Wirtschaft eingesetzten Rohstoffe Recyclingmaterialien.

Doch alleine aus ökologischer Sicht besteht weiterer Handlungsbedarf. Beispielsweise gehen über 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf die Gewinnung und ersten Verarbeitungsschritte von Primärrohstoffen zurück. Die Aufbereitung und der Einsatz von Sekundärrohstoffen, also Recyclingmaterialien, ist hingegen mit erheblich weniger Energieaufwand und somit auch mit deutlich weniger klimarelevanten Emissionen verbunden. Auch trägt zirkuläres Wirtschaften weltweit zur Reduktion des Landschaftsverbrauchs und zum Erhalt der Biodiversität bei.

AGEV: Wie weit ist Deutschland aktuell auf dem Weg zu einer zirkulären Wirtschaft?

Dr. Alexander Janz: In vielen Bereichen der Recyclingwirtschaft sind wir schon seit langem gut aufgestellt. Dies gilt insbesondere für hochwertige und gut recyclingfähige Materialen wie Eisen-, Stahl- und Aluminiumschrotte, Flaschenglas oder Altpapier, für die es gut funktionierende Recyclingmärkte gibt. Bedarf besteht unter anderem noch bei Kunststoffen, Baumaterialien und Technologiemetallen. Aktuell führen wir Einsatzquoten für Kunststoffrezyklate in der Produktion ein, um deren Marktnachfrage zu stimulieren oder setzen finanzielle Anreize für ein recyclingfreundliches Verpackungsdesign um. Zirkuläres Wirtschaften umfasst aber mehr als nur den intelligenten Umgang mit Abfällen am Ende der Wertschöpfungskette.

AGEV: Wo setzt die Kreislaufwirtschaft denn an?

Dr. Alexander Janz: Lebenszyklusorientiert setzt sie bereits beim langlebigen, kreislauffähigen, energieeffizienten und schadstoffarmen Design von Produkten an. Entsprechend müssen Vorgaben für ein Ökodesign zu Beginn der Wertschöpfungsketten, also während der Design- und Produktionsphase vorgenommen werden. Das Abfallrecht stößt hier an seine Grenzen, da es am Ende der Wertschöpfungsketten ansetzt.

Binnenmarktbedingt kann eine nachhaltige Produktpolitik aber nur auf europäischer Ebene vorangebracht werden. Die aktuelle Weiterentwicklung der Europäischen Ökodesign-Richtline von einer stark auf Energieeffizienz fokussierten Regelung hin zu einer umfassenderen Europäischen Ökodesign-Verordnung (ESPR), die für deutlich mehr Produktgruppen gilt, stellt aus meiner Sicht eine entscheidende Weiche hin zu mehr Zirkularität in der EU und somit auch in Deutschland. Das Umweltbundesamt bringt sich mit seiner fachlichen Expertise aktiv in diese laufenden, sehr anspruchsvollen europäischen Prozesse ein.

Zirkuläres Wirtschaften muss aber auch gelebt werden. Umweltschonende Konsum- und Lebensweisen der Bevölkerung oder eine konsequent umweltverträgliche öffentliche Beschaffung können maßgeblich zur Stärkung einer zirkulären Wirtschaft und somit zur Schonung natürlicher Ressourcen und zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen.

AGEV: Wie wichtig ist die sicherheitspolitische Dimension, um das rohstoffarme Deutschland unabhängiger zu machen?

Dr. Alexander Janz: Deutschland ist bekanntermaßen auf den Import bestimmter schwer substituierbarer Rohstoffe wie Technologiemetalle, Kupfer, Erdgas oder Erdöl angewiesen. Die Coronakrise und der Ukrainekrieg haben uns vor Augen geführt, wie empfindlich die globalen Rohstoffströme und Lieferketten und somit die Versorgungssicherheit der deutschen Wirtschaft gegenüber Störungen sind. Neben einer Diversifizierung unserer Rohstoffquellen kann gerade die Substitution primärer Rohstoffe durch Recyclingrohstoffe dazu beitragen, die deutsche Wirtschaft resilienter und uns insgesamt weniger abhängig von Rohstoffimporten zu machen. Zirkuläres Wirtschaften hat somit nicht nur eine ökologische, sondern auch eine sicherheitspolitische Dimension.

Bei all diesen Erwägungen dürfen wir jedoch nicht aus dem Auge verlieren, dass der global wachsende Rohstoffbedarf auch in den nächsten Jahrzehnten noch zu weiten Teilen durch Primärrohstoffe gedeckt werden muss. Notwendige strukturelle Investitionen wie der Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Energien oder die E-Mobilität werden temporär mit Bedarfssteigerungen bei einzelnen Rohstoffen verbunden sein, die nicht ausreichend durch Recycling bedient werden können. Zudem ist die Gewinnung primärer Rohstoffe in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern eine wichtige Einkommensquelle für die dortigen Menschen. Aus meiner Sicht müssen wir daher auch Aspekte einer nachhaltigen Gewinnung von Primärrohstoffen in den Erzeugerländern mit im Blick behalten.

AGEV: Welche Schritte fordern Sie von der Politik, um die Kreislaufwirtschaft voranzubringen?

Dr. Alexander Janz: Die Beratung der Politik in Fragen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes stellt eine Kernaufgabe des Umweltbundesamts dar. Daher haben wir in unseren „Empfehlungen für die Fortentwicklung der deutschen Kreislaufwirtschaft zu einer zirkulären Ökonomie“ aktuell knapp 50 konkrete Maßnahmenvorschläge entlang der gesamten Wertschöpfungsketten erarbeitet und den politischen Verantwortungsträgern zur Verfügung gestellt.

Insgesamt wünsche ich mir seitens der Politik mehr Mut, im Schulterschluss mit der Wirtschaft und der Bevölkerung die Transformation unserer immer noch weitgehend linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise in Angriff zu nehmen und konsequent für mehr nachhaltigen Konsum einzutreten.

AGEV: Ohne die Privatwirtschaft geht es nicht. Aber ist das Interesse der Wirtschaft überhaupt da, wenn Produkte z. B. einen längeren Lebenszeitraum bekommen oder Sekundärrohstoffe teurer sind?

Dr. Alexander Janz: Sofern durch anspruchsvolle rechtliche Rahmenbedingungen z. B. beim Ökodesign ein gleiches Recht für alle geschaffen wird, führt dies nicht zu Wettbewerbsnachteilen einzelner Hersteller. Natürlich hat mehr Qualität ihren Preis, welche sich auch in den Produktpreisen niederschlagen wird. Langlebige Produkte sind aber nicht nur umweltverträglicher, sondern rechnen sich für Konsumentinnen und Konsumenten langfristig. Darüber hinaus ist „die Privatwirtschaft“ ja kein monolithischer Block. Hier sind verschiedenste Akteure mit verschiedensten Interesslagen unterwegs und neue zirkuläre Wirtschafts- und Konsumweisen schaffen auch neue Geschäftsmodelle.

AGEV: Vielen Dank für das Gespräch

Über Dr. Alexander Janz

Dr. Alexander Janz ist seit 2021 Leiter der Abteilung „Nachhaltige Produkte und nachhaltiger Konsum, Kreislaufwirtschaft“ im Umweltbundesamt, Dessau. Zuvor arbeitete der Diplom-Ingenieur für Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik im Bundesumweltministerium als stellvertretender Leiter des Referats „Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen, Wertstoffrückgewinnung“. Neben diesen Tätigkeiten war Dr. Alexander Janz von 2008 bis 2020 Lehrbeauftragter für Technisches Stoffstrommanagement an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Höxter.