„Ohne Open Source keine digitale Souveränität“
Peter Ganten setzt sich als Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance (OSBA) für Open Source in Wirtschaft und Verwaltung ein. Im Interview spricht er über den Nutzen und die Innovationskraft von offener Software, das Thema Sicherheit – und warum die Unabhängigkeit von proprietären Software-Anbietern zwingend gefördert werden muss.
AGEV: Wie intensiv wird Open-Source-Software heute genutzt und welche Bedeutung hat sie für die Weiterentwicklung in der IT-Welt?
Peter Ganten: Äußerst intensiv, sie ist Innovationsmotor insbesondere für Unternehmen, die digitale Systeme schnell und innovativ weiterentwickeln und sicher betreiben wollen, da sie Transparenz, Sicherheit und die Anpassungsfähigkeit von Systemen fördert. Gleichzeitig erleichtert sie den Markteintritt für Startups und KMUs und stärkt den Wettbewerb insgesamt. Aktuellen Studien zufolge finden sich in 96 Prozent aller Softwarelösungen Open-Source-Software-Komponenten. Oder anders gesagt: Ohne Open Source geht es nicht. Studien der Harvard Business School zeigen zudem, dass Open Source Software erhebliche Vorteile für die Gesamtwirtschaft bietet, weil sie nicht nur die Innovationskraft stärkt, sondern auch die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern verringert – das ist sowohl für die Industrie als auch für die öffentliche Verwaltung von großer Bedeutung.
AGEV: Für viele Anwender ist Open-Source-Software vor allem interessant, weil sie nichts kostet. Welche Vorteile sprechen noch für den Einsatz?
Peter Ganten: Es ist richtig, dass Open-Source-Software oft kostenlos bezogen werden kann. Für professionelle Anwender und Betreiber sollten aber die beim Einsatz eines Softwaresystems insgesamt entstehenden Kosten im Mittelpunkt stehen – etwa für Lizenzen, Pflege, Support, Betrieb, Hardware, Energie oder die Integration mit vorhandenen Systemen.
Im Kostenvergleich bietet Open-Source-Software daher eine Vielzahl mittel- und langfristiger sowie wichtige strategische Vorteile, die sich etwa aus geringerer Herstellerabhängigkeit und der Möglichkeit zur Anpassung und Erweiterung ergeben, da der Quellcode frei zugänglich ist. Darüber hinaus fördern Open-Source-Lösungen Transparenz und Sicherheit, weil sie von einer breiten Gemeinschaft kontinuierlich überprüft und verbessert werden können, so dass sich Sicherheitslücken schneller entdecken und beheben lassen.
Unternehmen und Verwaltungen, die im digitalen nicht in Abhängigkeit und Erpressbarkeit enden wollen, brauchen digitale Souveränität, also Kontroll-, Gestaltungs- und Wechselfähigkeit. Genau das bietet Open-Source-Software, weil sie die Kontrolle über die eigenen Daten und Systeme ermöglicht und die Abhängigkeit von proprietären Softwareanbietern reduziert. Wer aus irgendeinem Grund von einem Software-Anbieter zu einem anderen wechseln möchte, kann dies mit Open Software deutlich einfacher umsetzen.
AGEV: Wie steht es mit dem Thema Sicherheit und Verlässlichkeit? Wie groß ist das Risiko für Unternehmen, die OS-Software einsetzen?
Peter Ganten: Die Sicherheit und Verlässlichkeit von Open-Source-Software ist oft sogar höher als bei proprietären Lösungen, da der Quellcode von einer breiten Gemeinschaft kontinuierlich überprüft und verbessert werden kann, was dazu beiträgt, dass Sicherheitslücken schneller identifiziert und behoben werden können. Allerdings erfordert es jedes komplexe Softwaresystem, dass es durch kontinuierliche Pflege, Anpassung und Weiterentwicklung sicher und auf der Höhe der Zeit gehalten wird. Bei proprietärer Software ist man hier auf den jeweiligen Anbieter allein angewiesen, ohne dabei die Qualität seiner Arbeit kontrollieren zu können. Anwender von Open- Source-Software hingegen haben die Wahl, ob sie diese Aufgabe selbst übernehmen oder von einer der vielen leistungsfähigen und professionellen Open-Source-Unternehmen ausführen lassen wollen, die entsprechende Dienstleistungen anbieten.
Darüber hinaus kann es für Anwender nützlich sein, sich aktiv in die Open-Source-Community der entsprechenden Software einzubringen, da so das Know-how für Anpassung und Integration aufgebaut werden kann und sich in der Gemeinschaftsarbeit Risiken minimieren lassen.
AGEV: Große Tech-Unternehmen wie Microsoft, Google und Amazon investieren verstärkt in Open-Source-Projekte. Warum tun sie das, und wie wirkt sich ihr Einfluss auf die Community aus?
Peter Ganten: Sie möchten die Vorteile der Zusammenarbeit mit einer weltweiten Community nutzen, um Innovationen schneller voranzutreiben und um damit Lösungen entwickeln zu können, die ihren eigenen Produkten zugutekommen. Ihr Einfluss auf die Open-Source-Community kann sowohl positiv als auch negativ sein: Positiv, weil sie Ressourcen, Fachwissen und finanzielle Mittel bereitstellen, die das Wachstum und die Stabilität von Projekten fördern; damit kann natürlich auch einhergehen, dass die entsprechenden Unternehmen einen starken Einfluss auf die Projekte ausüben können. Zudem muss man manchmal auch genau hinschauen: Gerade im Bereich Open Source und KI wird einiges unter der Überschrift „Open Source“ vermarktet, was nicht dem weit verbreiteten Verständnis von Offenheit und Transparenz entspricht.
AGEV: Die Nutzung von Open-Source-Inhalten durch KI-Firmen wie OpenAI steht in der Kritik. Wie bewerten Sie die Praxis, Open-Source-Daten zum Trainieren von KI-Modellen zu verwenden? Ist das noch „Fair Use“ oder sehen Sie darin eine Gefahr für das Ökosystem Open-Source?
Peter Ganten: Diese Praxis wirft komplexe rechtliche und ethische Fragen auf. Grundsätzlich ist es besser, wenn KI-Modelle mit offenen Daten trainiert werden, als mit Daten, zu deren Verwendung keine explizite Zustimmung erteilt wurde. Bei vielen großen Plattformunternehmen ist es derzeit üblich, die „Terms and Services“ so anzupassen, dass alle von den Nutzern erstellten Inhalte zum Training von KI-Modellen verwendet werden dürfen. Die Nutzer bekommen das aber häufig gar nicht richtig mit.
Während das Trainieren von KI-Modellen mit Open-Source-Daten in vielen Fällen unter das Konzept des „Fair Use“ fallen kann, besteht die Gefahr, dass diese Praxis die Grundprinzipien der Open-Source-Community untergräbt, indem sie die kreativen Beiträge von Entwicklern und Autoren nicht angemessen honoriert oder die Bedingung einiger Open-Source-Lizenzen verletzt. Diese Vereinbarungen fordern teilweise die Erwähnung der ursprünglichen Autoren oder auch, dass veränderte Codes auch wieder Open Source an die Community zurückgegeben werden. Auch mit Blick auf das Urheberrecht ergeben sich komplexe Fragestellungen. So dürfen offene Daten zwar teilweise zum Training von KI-Modellen verwendet werden, aber diese Datensätze dürfen unter Umständen im Anschluss nicht erneut vom Hersteller der KI-Software zur Verfügung gestellt werden. Die Ansprüche der Open-Source-Communities erfordern im Sinne der Transparenz aber eigentlich eine Veröffentlichung von Software, Modell und Trainingsdaten. Zahlreiche Open-Source-Hersteller arbeiten derzeit an eigenen Open-Source-Alternativen im Bereich KI. Mit Blick auf die zahlreichen komplexen Fragestellungen arbeitet die Open Source Initiative (OSI) bereits seit einer Weile an einer Definition für „Open-Source-KI“.
AGEV: Die Bundesregierung finanziert mit Projekten wie OpenDesk die Entwicklung von Open-Source-Software. Sehen Sie in solchen Projekten eine realistische Chance, die digitale Souveränität zu stärken?
Peter Ganten: Ich sehe darin nicht nur eine Chance, sondern eine zwingende Notwendigkeit, um die digitale Souveränität sowie die Innovationskraft und den Wettbewerb zu stärken. Die Unabhängigkeit von monopolistischen proprietären Software-Anbietern ist zwingend notwendig, um die Zukunftsfähigkeit von Deutschlands Wirtschaft und Verwaltung zu gewährleisten. Die bisherige Bundesregierung war mit ihren Open-Source-Vorhaben grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Allerdings hätte sie nachhaltige Technologien und offene Standards noch deutlich konsequenter unterstützen müssen, wie wir in unserem kürzlich veröffentlichten offenen Brief betonen. Während im Rahmen der Haushaltsverhandlungen um verhältnismäßig kleine Summen für Projekte wie den Sovereign Tech Fund (STF) oder das Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) gerungen wurde, fließen gleichzeitig Milliardenbeträge in reguläre Beschaffungsvorhaben für proprietäre Softwarelösungen. Diese Ausgabenpolitik steht in keinem Verhältnis zur notwendigen Förderung von Open Source und zementiert bestehende Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern, wodurch die Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit sowie die Innovationskraft weiter aufgegeben werden.
Geld ist aber auch nicht alles, es gibt auch eine Reihe von politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung der digitalen Souveränität in der öffentlichen Verwaltung einen ordentlichen Schub geben könnte. Mit Blick auf die nun anstehenden Bundestagswahlen haben wir daher kürzlich auch einen Forderungskatalog mit 38 politischen Maßnahmen veröffentlicht, die eine zukunftsfähige und Open-Source-getriebene Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung ermöglichen.
AGEV: Danke für das Gespräch.
Über Peter Ganten
Peter Ganten beschäftigt sich seit 1994 mit Open Source im professionellen Einsatz. Als Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance (OSBA) setzt er sich für die Förderung und Verbreitung von Open-Source-Software und offenen Standards in der Wirtschaft und im öffentlichen Sektor ein. Peter Ganten ist darüber hinaus Gründer und CEO der Univention GmbH und Autor des Handbuchs zu Debian GNU/Linux. Er tritt auch als Experte auf Fachkonferenzen und Veranstaltungen auf.
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