EU-Richtlinie zur Plattformarbeit: Kein großer Wurf

Christoph Steinhauer

Die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit ist wie so viele Gesetze heutzutage – gut gemeint, aber am Ende nur ein fauler Kompromiss, der wenig hilft, aber viel Schaden anrichten kann. Wenn hochbezahlte IT-Spezialisten, die keinen besonderen Schutz beanspruchen oder benötigen, künftig als scheinselbstständig eingestuft werden und damit Gefahr laufen, ihren selbst gewählten Status als Freiberufler zu verlieren, dann schüttet man das Kind mit dem Bade aus.

Christoph Steinhauer, Redaktion AGEV im Dialog, kommentiert die Plattformrichtlinie in unserer Rubrik „Einwurf“.

Zu weite Definition von Plattformarbeit

Gegen das Ziel, die Rechte von Plattformarbeitern zu stärken, ist sicherlich nichts einzuwenden. Niemand wünscht sich ausbeuterische Arbeitsverhältnisse bei Liefer- oder Fahrdiensten. Doch auf Basis welcher Daten geht die EU-Kommission davon aus, dass es in Europa rund 28 Millionen Plattformbeschäftigte gibt, die durch die Richtlinie besser geschützt werden sollen? Übertragen auf Deutschland würde das bedeuten, dass zwei von drei Solo-Selbstständigen tatsächlich abhängig beschäftigt sind. Diese Zahlen sind allerdings umstritten. Viele Experten bezweifeln, dass sie der Realität entsprechen. Es ist schon fraglich, ob es überhaupt möglich ist, genaue Daten zu erheben. Denn Plattformarbeit wird oft nur vorübergehend oder nebenberuflich ausgeübt. Für Andreas Lutz, Geschäftsführer des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD), handelt es sich bei den Zahlen um gewagte Schätzungen, denen es an Plausibilität fehlt. „Durch die ungenaue und zu weite Definition von Plattformarbeit in der Richtlinie kommt man zwangsläufig zu absurd hohen Zahlen, die dann die Wichtigkeit der politischen Aufgabe rechtfertigen sollen.“

Der schwammige Plattformbegriff, die Beweislastumkehr und das Fehlen einheitlicher Kriterien würden, so Lutz, die Rechtsunsicherheit für Solo-Selbstständige und ihre Auftraggeber in Deutschland weiter erhöhen und dazu führen, dass es hierzulande noch weniger Selbstständige gibt. Schon jetzt vergäben Auftraggeber aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen keine Aufträge mehr an Solo-Selbstständige. Oder sie drängten Freiberufler gegen ihren Willen in die deutlich schlechter bezahlte Leiharbeit, weil diese im Vergleich rechtssicherer erscheine. Für viele bleibe dann nur die Aufgabe der Selbstständigkeit, oft in Form eines vorzeitigen Renteneintritts, oder die Abwanderung ins Ausland.

Risiken für Auftraggeber

Insbesondere die in der Richtlinie vorgesehene Umkehr der Beweislast ist für die Auftraggeber mit einer Herausforderung verbunden, die in der Praxis kaum zu bewältigen ist. Bisher wurde der Status auf Antrag von Auftraggeber oder -nehmer bzw. im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt. Künftig, nach Umsetzung in deutsches Recht, liegt die Beweislast bei den Auftraggebern: Sie sind diejenigen, die nachweisen müssen, dass ihre Freelancer tatsächlich selbstständig tätig sind. Eindeutige Positivkriterien, das heißt, eine klare Definition der Bedingungen, unter denen von Selbstständigkeit auszugehen ist, gibt es nicht, lediglich eine Reihe von Negativkriterien, wie etwa die Einbindung über eine gemeinsame digitale Arbeitsumgebung, die heute bei den meisten Tätigkeiten Standard ist. Wenn also ein Freelancer über die gängige Software MS-Teams in ein Projekt eingebunden ist, könnte dies als Kriterium für eine Scheinselbstständigkeit gewertet werden. Solche absurden Kriterien führen zu unkalkulierbaren Risiken für Auftraggeber.

Gerade im Bereich der IT-Dienstleistungen wird eine Zusammenarbeit mit Freelancern weiter erschwert. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen führt wahrscheinlich dazu, dass Unternehmen lieber auf Festangestellte zurückgreifen. Auch wenn es nicht explizit gesagt wird, ist diese Konsequenz von einigen Politikern vermutlich sogar erwünscht. Schließlich sind Freelancer eine nicht immer gern gesehene Konkurrenz für die festangestellten Mitarbeiter. Das ist aber sehr kurzsichtig gedacht. Denn gerade im Bereich der Informationstechnologie haben Unternehmen häufig einen Bedarf an speziellen Kompetenzen von außen, die im eigenen Unternehmen nicht zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass die Expertise oft nur für ein zeitlich begrenztes Projekt benötigt wird.

Die Folgen der Richtlinie sind bereits spürbar

Erste Unternehmen hätten bereits angekündigt, keine Solo-Selbstständigen mehr zu beauftragen, sagt Andreas Lutz. „Unsere Mitglieder berichten teilweise, dass ihnen sogar in laufenden Projekten gekündigt wird. Gleichzeitig dürfte der Nutzen für Plattformbeschäftigte wie Fahrradkuriere und Uber-Fahrer gering sein, da diese in Deutschland ganz überwiegend bereits angestellt sind“, so Lutz weiter. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, sieht die Plattformrichtlinie in der beschlossenen Form äußerst kritisch: „Der Wirtschaftsstandort Europa steht im internationalen Wettbewerb unter Druck. Deshalb brauchen wir gute Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Wohlstand in Europa. Die EU-Plattformrichtlinie ist ein Angriff auf alle Selbstständigen in Europa. Die Richtlinie geht nicht zu weit, sondern schlichtweg in die falsche Richtung. Selbstständigkeit ist ein zentraler und notwendiger Bestandteil einer modernen Arbeitswelt. Es kann nicht sein, dass Selbstständige gegen ihren Willen zu Arbeitnehmern gemacht werden“.

Forderung der AGEV

„Wir können jetzt nur hoffen, dass die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit bei der Umsetzung in Deutschland eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Formen von Selbstständigkeit berücksichtigt“, sagt AGEV-Geschäftsführer Franz J. Grömping. Eine zu starre Anwendung könnte sonst dazu führen, dass innovative Geschäftsmodelle und flexible Arbeitsstrukturen eher behindert statt gefördert werden. „Wir brauchen eine ausgewogene Regelung, die die Rechte der Plattformarbeiter schützt, gleichzeitig aber auch die unternehmerische Freiheit und Innovationskraft der Selbstständigen bewahrt, zum Beispiel indem endlich klare Positivkriterien für Selbstständigkeit definiert und so die dringend benötigte Rechtssicherheit geschaffen wird“, fordert Grömping von der Politik in Deutschland.

„Es steht zu befürchten, dass die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft und damit unser wichtigster Standortfaktor unnütz leidet. Denn gerade die flexiblen Arbeitsstrukturen und die Ausweitung der digitalen Kompetenz in der Zusammenarbeit mit Solo-Selbstständigen sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für unternehmerische Projekte.“

 

Franz J. Grömping, AGEV-Geschäftsführer

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