Selbstständigkeit in Gefahr

3. November 2022


Der Status von Selbstständigen ist rechtlich nach wie vor prekär. Negativ-Kriterien, also Tätigkeitsmerkmale, die Gerichte als Indikatoren für Scheinselbstständigkeit werten, gibt es zuhauf. Verbindliche Positiv-Kriterien jedoch, die den Status von Selbstständigen definieren, sind nirgendwo festgelegt.

Für Selbstständige hat sich die rechtliche Situation nicht verbessert, obwohl bereits 2021 im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung angekündigt wurde, eine schnelle Reform des Statusfeststellungsverfahrens unter Einbindung der Betroffenen umzusetzen. Passiert ist laut dem Verband der Selbstständigen Deutschlands (VGSD) aber weniger als nichts: „Stattdessen arbeiten Prüfer wie Anwälte mit einem mageren Gesetzestext, rechtlich nicht verbindlichen Anmerkungen in einem Rundschreiben und widersprüchlichen Urteilen zum Teil auf höchstrichterlicher Stufe.“

Gesellschaftlicher Skandal

Die Folge ist ein kaum beachteter gesellschaftlicher Skandal: Immer mehr Selbstständige müssen vor Sozialgerichten um ihren Beruf kämpfen, obwohl wir in Deutschland eigentlich ein Grundrecht auf freie Berufswahl genießen. Dass sich diese unsichere Rechtslage sogar noch verschlimmert, lässt sich nach all den Jahren kaum noch anders erklären als durch politische Ignoranz oder sogar Absicht. Selbstständigkeit wird von Politikern (und großen Teilen der Bevölkerung) weder verstanden noch geliebt. Zu unkontrollierbar, heterogen und systemfremd ist sie für viele. Deshalb wird uns Selbstständigen überall Misstrauen entgegengebracht. So hegen viele Finanzbeamte schnell den Generalverdacht der Steuerhinterziehung, wenn nicht jeder eingenommene und ausgegebene Cent bis ins kleinste Detail dokumentiert und erklärt werden kann. Die meisten können sich kaum vorstellen, was es bedeutet, jeden Tag jede Aktivität lückenlos dokumentieren zu müssen oder gar eine Betriebsprüfung über sich ergehen zu lassen.

Corona hat bei vielen Ersparnisse vernichtet

Zwar gab es in der Corona-Krise eine kurze Welle der Aufmerksamkeit und Betroffenheit, da Selbstständige wie kaum eine andere Berufsgruppe unter den Lockdowns gelitten haben. Davon ist aber nichts geblieben. Schließlich wurden ja medienwirksam großzügige Hilfen bereitgestellt, die so üppig erschienen, dass mancher Angestellte sogar neidisch werden konnte. Das Dumme ist nur, dass bei vielen Selbstständigen trotz hoher Einkommensverluste nichts davon angekommen ist. Im Gegenteil: Oftmals haben die schnell gestrickten Hilfspakete ein kaum noch aufzulösendes Bürokratiechaos geschaffen, an dem sich Heerscharen von teuer bezahlten Steuerberatern und Steuerberaterinnen heute noch die Zähne ausbeißen. Und nach dem ganzen Aufwand heißt es dann meist am Ende: Die Hilfen müssen zurückgezahlt werden, weil der oder die Selbstständige es mit viel Kreativität, persönlichem Einsatz, schmerzlichen Kosteneinsparungen oder dank eigener Rücklagen geschafft hat, sich mit vielleicht 20 Prozent des sonst üblichen Einkommens knapp über der Verlustzone zu halten.

Unheil bringende EU-Pläne

In anderen Ländern der EU sieht die Lage für Selbstständige nicht viel besser aus. Laut einer Richtlinie der EU-Kommission sollen bald alle Solo-Selbstständigen in die Rentenkassen einzahlen – und zwar unabhängig davon, ob sie selbst für das Alter vorsorgen oder nicht. Die Richtlinie sieht außerdem vor, dass alle, die über Plattformen im Internet Aufträge beziehen, mit einem niederschwelligen Kriterienkatalog zu „Beschäftigen“ und damit beitragspflichtig werden. Der Plattformbegriff ist dabei derart weit gefasst, dass sogar Provider und Agenturen darunterfallen könnten. Erklärtes Ziel: Vier Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr für die Sozialkassen der Mitgliedsländer, oftmals auf Kosten der Schwächsten und Ärmsten in dieser Gesellschaft. Denn viele Soloselbstständige in der EU erzielen lediglich Einkünfte am Rande des Existenzminimums. Nur die wenigsten werden die zusätzlichen Belastungen gegenfinanzieren können, indem sie ihre Honorare erhöhen. Realistischer ist, dass Viele in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden, was für den Staat am Ende teurer wird als der Verzicht auf die Einnahmen. Dass all solche Fälle in die sozialversicherungspflichtige Festanstellung kommen, ist angesichts der kommenden Rezessionsjahre nichts anders als Realitätsverweigerung.

Bisher keine Hilfe von der Politik

Es ist sicher auch nicht leicht, Selbstständigkeit zu definieren. „Es sind über 420 Kriterien, die ein Betriebsprüfer im Falle einer Prüfung beim Auftraggeber und im Anschluss beim Freelancer abfragen kann“, berichtet Hartmut Paul, ehemaliger Rentenprüfer und Sozialversicherungsrechtsexperte in der Kanzlei jura ratio in Berlin. Es gibt auch nicht „den Selbstständigen“, wie es „den Busfahrer“ oder „die Verkäuferin“ gibt. Weil das Berufsbild so heterogen ist, reicht die Bandbreite vom Prospektverteiler, Fahrradkurier über den IT-Berater bis hin zum Popstar. Dennoch sollte es keine unlösbare Aufgabe sein, die Situation zu verbessern. Vorschläge für eine begrenzte Liste klarer Positiv-Kriterien liegen seit langem auf dem Tisch – auch die AGEV arbeitet in politischen Gremien schon lange mit daran, der Politik solche Vorschläge zu machen. Leider hat all diese Arbeit bisher noch nicht gefruchtet. Zu groß sind offenbar die ideologischen Hürden, über die viele Politiker springen müssten. Statt einer echten Reform, die Selbstständigen endlich ihre Existenzrechte zugesteht – und die andere Berufe längst haben –, wird sich lieber dafür gefeiert, dass man Selbstständige in die Rentenversicherung holt und Klickarbeiter vor sozialer Ausbeutung schützt. Leider werden damit die Probleme der normalen Selbstständigen verschlimmert statt verbessert, allein schon deswegen, weil die rechtliche Unsicherheit dazu führt, dass mehr und mehr potenzielle Auftraggeber von der Beschäftigung von Freelancern lieber absehen. Angesichts der Uneinigkeit in der Ampelkoalition ist leider mit einer schnellen Verbesserung dieser Situation nicht wirklich zu rechnen.

Wie können Selbstständige ihren Status schützen?

Bis ein verbindliches Gesetz im Sinne der Selbstständigen kommt, bleibt ihnen nur eins: sich möglichst unangreifbar zu machen: „Traurig, aber wahr: Wie Eichhörnchen müssen Selbstständige Indizien für ihre Selbstständigkeit sammeln. Je mehr positive Kriterien sie vorweisen, desto leichter fällt die Argumentation pro Selbstständigkeit – sei es in kompliziert formulierten Fragebögen der DRV, im Widerspruchsverfahren oder aber vor Gericht“, sagt Benno Grunewald, Anwalt aus Bremen, der sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Der VGSD hat kürzlich eine Reihe von Tipps, wie Selbstständige ihren Status schützen können, auf seine Website gestellt. Gemeinsam mit Experten aus dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht stellt der Verband die wichtigsten Kriterien vor. „Diese Tipps sind nicht abschließend und ersetzen auch keine Beratung durch einen Anwalt mit Expertise im Bereich der Scheinselbstständigkeit. Entscheidend ist stets die Gesamtwürdigung aller Umstände deines Auftrags – und das klärt sich nur im individuellen Gespräch“, heißt es dort. Die Reihe umfasst vier Teile, die mittlerweile alle auch für Nicht-Mitglieder online sind:

Teil 1: Der richtige Auftritt nach außen

Teil 2: Die richtige Beauftragung und Vertragsgestaltung

Teil 3: Die besten Tipps für den Einsatz beim Kunden

Teil 4: Wann es die GmbH und UG wirklich braucht

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