Günstiges Bauen ohne Mörtel

3. November 2022


Kann man den weltweit knappen Bausand durch Wüstensand ersetzen? Die Antwort des Startups Polycare: Ja. Die kleine Firma aus Suhl stellt Bausteine aus Polymerbeton her, die sich nach dem Lego-Prinzip zu robusten Gebäuden zusammenstecken lassen. Angetreten waren die Gründer, um Opfern von Naturkatastrophen zu einem Dach über dem Kopf zu verhelfen. Inzwischen ist aus ihrer Idee ein marktreifes Produkt geworden, das die gesamte Baubranche revolutionieren könnte.

  • Das Konzept von Polycare: die günstige Herstellung von langlebigen und umweltfreundlichen Bauelementen aus Polymerbeton.
  • Die steckbaren Elemente sind mit lokalen Rohstoffen, z. B. Wüstensand, schnell hergestellt und lassen sich ohne Fachkenntnisse und schweres Gerät verbauen.
  • Seit 2021 gibt es eine Zulassung in Deutschland – noch mit Einschränkungen bei der Baugröße.

Jeder kennt die bunten Legosteine, die schon Generationen von fröhlichen kleinen Bauherren hervorgebracht haben. Das Startup Polycare aus Thüringen überträgt dieses simple Lego-Prinzip auf die reale Bauwelt. Mehr als zehn Jahre tüftelte Gunther Plötner an dem alternativen Baustoff. Und seit er sich mit Erfinder und Investor Gerhard Dust zusammengetan hat, könnte sein Rezept die Baubranche in vielerlei Hinsicht revolutionieren – vor allem preislich und ökologisch. Grund dafür sind ihre Bausteine aus Polymerbeton, eine Verbindung aus Polyesterharz und rieselfähigem mineralischen Stoff, in der Regel Sand. Jedes Körnchen wird mit dem Harz überzogen, damit sich die Sandkörner verbinden können. Das Verfahren erlaubt die Nutzung von Wüstensand, der aufgrund seiner glatten Oberfläche für die herkömmliche Betonproduktion ungeeignet ist. Angesichts der Tatsache, dass ein Sechstel der Erdoberfläche mit Sanden bedeckt ist, die für die Bauindustrie bisher nicht nutzbar waren, kann man das Verfahren der Suhler Firma als revolutionär bezeichnen.

Aber die Polymer-Elemente sind noch unter vielen anderen Aspekten der Betonherstellung überlegen: Schon in 20 Minuten ist die Mischung vollständig ausgehärtet. Die Steine sind leicht, wasserundurchlässig und nach Firmenangaben stabiler als herkömmlicher Beton. Außerdem lässt sich jedes Haus abfallfrei wieder ab- und an anderer Stelle neu aufbauen. Die leichten Bauelemente brauchen überdies keine weiteren Arbeitsschritte wie Verputzen, Schleifen oder Versiegeln. Sie können einfach von Menschenhand wie Legos aufeinander gesteckt und verschraubt werden. Weder Fachkenntnisse noch schweres Gerät sind dafür erforderlich.

Erschwingliche Unterkünfte

Damit sind die günstigen und einfach zu verbauenden Polymersteine auch für den Bau von Unterkünften in den ärmeren Regionen der Welt interessant. Genau diese Vision hatten die Gründer auch, als sie unter dem Eindruck der Erdbebenkatastrophe in Haiti 2010 überlegten, wie man Katastrophenopfern mit einfachen Mitteln helfen kann. Sie gründeten die Polycare Research Technology GmbH & Co. KG, um ihre Idee für einfache, steckbare Not- und Dauerunterkünfte aus Polymerbeton weiterzuentwickeln, das Rezept für die Bausteine zu verfeinern und das Lego-Prinzip zur Marktreife zu bringen. Zu dieser Zeit hatte Gründer Gerhard Dust nach erfolgreicher Karriere eigentlich mit seinem Erwerbsleben schon abgeschlossen.

Aus der Idee ist inzwischen reale Hilfe erwachsen. Beispiel Namibia: Hier hat Polycare 2019 unweit von Windhoek eine Fabrik zur Produktion von Bausteinen aus namibischem Wüstensand eröffnet. Einheimische Kräfte ohne Vorkenntnisse können die Bauelemente hier einfach herstellen. In Zusammenarbeit mit Partnern des Landes sollen Häuser für die Ärmsten entstehen und die Wellblechhütten nach und ersetzen. Passgenaue Steckanleitungen machen es jedem Laien möglich, die bis zu 60 Quadratmeter großen Häuser aufzubauen. Weitere Projekte in anderen Ländern sind geplant. Bis 2030 sollen 100.000 Häuser aus Polycare-Bausteinen stehen – immer gebaut nach dem Credo „Hilfe zur Selbsthilfe“, das für die Firmengründer bei allen Projekten oberstes Prinzip ist

Mehr Informationen: Polycare

Zulassung in Deutschland

Das Konzept der Thüringer Firma sollte angesichts der exorbitant steigenden Kosten für den Hausbau in Deutschland viel Beachtung finden. 2021 erhielt Polycare den „Deutschen Unternehmenspreis für Entwicklung“ und im selben Jahr auch die Zulassung seines Baustoffs für Deutschland – allerdings noch mit einigen Einschränkungen in der Größe der Bauten. Nach Angaben von Polycare ist bei allen Gebäuden über 24 qm im Einzelfall eine Zulassung bei den Landesbauämtern zu beantragen. Bis Gebäude in Wohnhausgröße nach dem Lego-Prinzip gebaut werden können, ist wohl noch Geduld gefordert.

Gründer Gerhard Dust mit Polymerbetonstein vor einem Musterhaus. Bildquelle: Polycare