Brauchen wir eine Regulierung der Plattformarbeit? Ein Thema – zwei Meinungen

Brüssel will die Arbeitsrechte von Plattformarbeitern stärken. In der EU-Richtlinie ist der Begriff allerdings so schwammig definiert, dass nahezu jeder Soloselbstständige darunterfallen könnte. Ist die EU-Regulierung nötig? Wir haben zuerst Christina Ramb, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), und dann Dennis Radtke, Mitglied des EU-Parlaments, nach ihrer Position zu dem Thema befragt.

Christina Ramb (Bildquelle: BDA Michael Huebner)

AGEV: Frau Ramb, brauchen wir aus Sicht der Arbeitgeber überhaupt eine stärkere Regulierung von Plattformarbeit?

Christina Ramb: Egal ob bei digitalen Arbeitsplattformen oder im Rest der Wirtschaft: Der Beschäftigungsstatus sollte korrekt bestimmt werden. Wenn eine abhängige Beschäftigung vorliegt, müssen Plattformtätigen die gleichen Arbeits- und Sozialschutzrechte eingeräumt werden wie allen anderen Arbeitnehmern auch. Das gleiche gilt für jene Arbeitsplattformen, die Arbeitgeber sind und sich damit an dieselben arbeitsrechtlichen Pflichten halten müssen, die für andere Unternehmen auch gelten. In Deutschland haben wir schon längst entsprechende Verfahren, um feststellen zu können, ob ein Arbeitsverhältnis besteht. Dafür brauchen wir keine EU-Regulierung. Stattdessen sollten überall dort, wo Plattformarbeit in den Mitgliedstaaten eine Herausforderung im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen und dem Sozialschutz darstellt, mögliche Probleme national angegangen werden. So kann es sinnvoll sein, auf nationaler Ebene den Zugang zum Sozialschutz von Selbstständigen zu stärken.

AGEV: Viele Selbstständige befürchten, dass ihr Status durch die Richtlinie quasi abgeschafft wird. Wie beurteilen Sie die Pläne der EU-Kommission?

Christina Ramb: Die EU-Kommission schlägt vor, die gesetzliche Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses anhand eines einheitlichen europäischen Kriterienkatalogs auszulösen. Ein Arbeitsverhältnis lässt sich nach diesen Kriterien entsprechend schnell vermuten. Das kann in der Praxis leicht zu einem unerwünschten Beschäftigungsverhältnis für Selbstständige führen, die ihre Flexibilität und unternehmerische Freiheit genießen und gar keinen Arbeitnehmerstatus anstreben. Bei der Bewertung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung aller Umstände notwendig. Das muss von Fall zu Fall entschieden werden und sich nach den Maßgaben und Kriterien der Mitgliedstaaten richten. Mit einem europäischen Kriterienkatalog würde die Richtlinie demgegenüber einen europaweiten Arbeitnehmerbegriff für die Plattformökonomie einführen, der nicht mit den bestehenden nationalen Arbeitssystemen vereinbar ist und weitreichende Folgen hätte.

AGEV: Welche weiteren Kollateralschäden sehen Sie für Ihre Mitglieder?

Christina Ramb: Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer, die Soloselbstständige sind, entgegen ihrem eigenen Interesse in Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden, die vor Gericht nur schwer zu widerlegen sind, hätte das auch weitreichende Folgen für unsere Betriebe. Für KMU etwa würde es die Beauftragung externer Spezialisten und Berater erheblich erschweren. Gerade der Projektbereich ist durch spezialisierte Einzelunternehmer geprägt, die ihre Dienstleistungen verschiedenen Unternehmen anbieten. Wir sehen besonders jene Vorschläge der Co-Gesetzgeber mit großer Sorge, die die Definition von digitalen Arbeitsplattformen auf die gesamte Wirtschaft ausweiten würden. Unternehmen, die ihre Arbeitsprozesse digital organisieren, dürfen nicht als Plattform gelten. Das ist absurd und widerspricht jedem Verständnis einer modernen, sich digitalisierenden Arbeitswelt.

AGEV: Frau Ramb, danke für das Gespräch.

 

Dennis Radtke

AGEV: Herr Radtke, wozu brauchen wir überhaupt eine stärkere Regulierung von Plattformarbeit?

Dennis Radtke: Die Zahl der Plattformen und Plattformarbeiter ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Die aktuell geltenden Regulierungen werden den Herausforderungen dabei häufig nicht gerecht. Die Europäische Kommission schätzt, dass etwa 5,5 Millionen der insgesamt rund 26 Millionen Plattformarbeiter scheinselbstständig sind. Das betrifft vor allem Plattformarbeiter im Bereich Essenslieferdienste und Fahrdienstleister. Viele Plattformen sind europaweit und global tätig, sodass eine europäische Richtlinie sinnvoll ist, um ein Level Playing Field zu erzeugen.

AGEV: Wie kann man denn verhindern, dass der Status der Selbstständigkeit durch die Richtlinie quasi abgeschafft wird?

Dennis Radtke: Wir stellen klar, dass Plattformarbeiter entweder genuin selbstständig sind oder Angestellte. Einen dritten Status soll es nicht geben. Wer genuin selbstständig ist und das auch bleiben möchte, kann das ohne Probleme weiter sein. Wir schaffen rechtssichere Bedingungen sowohl für diese echten Selbstständigen als auch für die Scheinselbstständigen. Die Vermutung eines Angestelltenverhältnisses wird entweder ausgelöst, wenn ein Betroffener klagt oder die jeweils zuständige Behörde in den Mitgliedstaaten Unregelmäßigkeiten beim Status feststellt. Daraufhin hat die Plattform die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen. Somit schaffen wir eine echte Beweislastumkehr. Erst am Ende dieses Prozesses fällt die Entscheidung, ob eine Person selbstständig oder angestellt ist. Von einer Abschaffung der Selbstständigkeit kann nicht die Rede sein.

AGEV: Warum werden dann keine Positivkriterien für einen rechtssicheren Status von Selbstständigen, die das gerne sein möchten, geschaffen?

Dennis Radtke: Die Entscheidung darüber, ob jemand selbstständig oder angestellt ist, liegt in den Händen der Mitgliedstaaten. In Deutschland haben wir dafür seit Jahren klare Kriterien zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit. Die europäische Richtlinie soll lediglich Empfehlungen darüber geben, welche Kriterien hierfür beachtet werden sollten.

AGEV: Wird hier nicht versucht, unter den Deckmantel des Schutzes vor Ausbeutung möglichst viele Selbstständige mit zusätzlichen Abgaben zu belasten, um auf diese Weise einfach nur viel Geld in die Sozialkassen zu spülen?

Dennis Radtke: Keinesfalls. Wir schaffen klare und rechtssichere Bedingungen, damit die Scheinselbstständigen ihre Rechte erhalten können und echte Selbstständige dies auch bleiben können. Keiner hat ein Interesse daran, diese Selbstständigen in Arbeitsverhältnisse zu drängen, in die sie gar nicht möchten und gehören.

AGEV: Herr Radtke, danke für das Gespräch.

Christina Ramb
Christina Ramb ist seit September 2020 Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Berlin. Von Juli 2018 bis August 2020 leitete die Juristin die Abteilung Arbeit und Qualifizierung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Düsseldorf.

 

Dennis Radtke
Seit Juli 2017 ist Dennis Radtke Mitglied des Europäischen Parlaments für die CDU. Hier gehört er der Fraktion der transnationalen Europäischen Volkspartei (EVP) an. Er ist Mitglied des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie.