Umfrage: Wie selbstständig bist du?

Umfrage: Wie selbstständig bist du?

Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) laden Selbstständige zu einer Onlinebefragung ein. Die Ergebnisse sollen zu einer faktenbasierten politischen Diskussion über Selbstständige beitragen. Selbstständige AGEV-Mitglieder sind herzlich eingeladen, an der Befragung teilzunehmen.

Bildquelle: pixabay.com

Wie schätzen Sie sich selbst ein? Sind Sie gerne und freiwillig selbstständig? Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Situation und den Rahmenbedingungen? Gibt es Statusfeststellungs-Kriterien, die dem gesunden Menschenverstand besser entsprechen als die der Deutschen Rentenversicherung und Ihren Status so voraussagen, dass Selbst- und Fremdbild möglichst gut übereinstimmen?

Wer an der Befragung von VGSD und IW teilnehmen will, kann den Fragebogen entweder komplett anonym ausfüllen oder gleich auf der ersten Seite seine E-Mail-Adresse angeben. Dann erhält man per Mail nach Abschluss der Befragung kostenlos einen individuellen Benchmark-Report. Auch dann bleiben die Antworten anonym und werden vom IW nicht weitergegeben.

Nach der Befragung und Auswertung wird das IW im Herbst die Ergebnisse in einer Studie veröffentlichen.

Hier geht es direkt zur Umfrage

Mehr Informationen beim VGSD


AGEV-Mitgliederversammlung in Bonn: Zwischen Kreislaufwirtschaft und Chat-GPT

AGEV-Mitgliederversammlung in Bonn: Zwischen Kreislaufwirtschaft und Chat-GPT

Gut aufgestellt zeigt sich die AGEV in ihrer 16. Mitgliederversammlung am 12. Mai in Bonn. Für eine lebhafte Abschlussdiskussion sorgte Gastredner Andreas Kerbel von Fraunhofer, der Einblicke in die Welt von ChatGPT gab und die Chancen und Risiken von KI skizzierte.

Fotos: AGEV/Steinhauer

Der AGEV-Vorsitzende Burkhard Dickmann sorgte bei seiner Begrüßung für zustimmendes Schmunzeln unter den anwesenden Mitgliedern: „Das Einzige, was sich seit meinem Amtsantritt vor zwei Jahren nicht geändert hat, ist die Bürokratisierung“. Damit sprach er den AGEV-Mitgliedern aus der Seele, die Jahr für Jahr die Bürokratie als eine der Hauptbelastungen ihrer Unternehmen nennen. Deshalb hat sich der Verband auch in den Jahren 2021 und 2022 wieder mit den Herausforderungen für Selbstständige und kleine Unternehmen beschäftigt und den Finger noch stärker in einige Wunden gelegt.

Geschäftsführer Franz J. Grömping berichtete über die Initiativen und Petitionen der AGEV in den vergangenen zwei Jahren und gab einen Ausblick auf die Schwerpunkte in diesem Jahr: „Wir werden die politischen Akteure in Berlin weiterhin auf die Stolpersteine des unternehmerischen Alltags aufmerksam machen, die allzu oft unter ihrem Radar laufen. Zentrales Thema der Verbandsarbeit im Jahr 2023 ist für uns neben der Internetkriminalität die Transformation zur Kreislaufwirtschaft“.

Als einen der großen AGEV-internen Meilensteine nannte Grömping die erfolgte Neuausrichtung der Mitgliederkommunikation – mit dem Verzicht auf die termingebundene und kostenintensive Printversion des Magazins zugunsten der neu konzipierten Verbandswebsite. Agev.de sei nun noch stärker als zuvor zur zentralen Informationsplattform für die Mitglieder geworden – verbunden mit dem regelmäßig versandten Newsletter AGEV im Dialog.

Stellvertretender Vorstandsvorsitzender Mario Brouwers, Vorsitzender Burkhard Dickmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender Eduard Bröhl (v. l. n. r.)

Auf der Tagesordnung der 16. Mitgliederversammlung standen neben dem Bericht über die vergangenen und das laufende Geschäftsjahr der Bericht des Rechnungsprüfers, die Genehmigung der Jahresabschlüsse sowie die Entlastung des Vorstands. Alle Beschlüsse erfolgten einstimmig oder mit einer Enthaltung.

Gastvortrag „ChatGPT & Co. – Fluch oder Segen?“  

Andreas Kerbel von KI.NRW

Mit Spannung erwarteten die teilnehmenden Mitglieder den Fachvortrag „ChatGPT & Co. – Fluch oder Segen?“. Andreas Kerbel, Wirtschaftsingenieur und KI-Manager von der Kompetenzplattform KI.NRW im Fraunhofer-Institut, gab fachkundige Einblicke in die Chancen und Risiken der KI, die erst vor wenigen Monaten als erfolgreichste Software aller Zeiten gestartet ist, aber zunehmend auch von ihrer riskanten und unregulierten Seite betrachtet wird.

Krimineller Missbrauch, Arbeitsplatzverlust, Urheberrechtsverletzungen, Fake-News oder die Auswirkungen auf das Bildungssystem: Auch über diese Seiten der KI diskutierten die AGEV-Mitglieder im Anschluss an den Vortrag mit dem Experten. Die in Nordrhein-Westfalen ansässige KI-Vernetzungsinitiative will Wissenschaft und Wirtschaft enger miteinander verzahnen, damit ein effizienter und anwendungsorientierter Technologietransfer gelingt.

Sind Sie an weiteren Informationen von der 16. AGEV-Mitgliederversammlung interessiert?
Schreiben Sie uns an dialog@agev.de


Kollege ChatBot übernimmt?

Kollege ChatBot übernimmt?

Als das US-amerikanische Unternehmen OpenAI im November 2022 ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich machte, ahnte noch niemand, welchen Hype das auslösen würde. Nur zwei Monate später hatte der dialogbasierte Chatbot bereits die Marke von 100 Millionen Nutzern überschritten. Selbst TikTok brauchte dafür neun Monate. Ist der Hype gerechtfertigt? Drohen uns nun Millionen von Arbeitslosen? Ein Erfahrungsbericht von Christoph Steinhauer (AGEV im Dialog).

Bildquelle: D koi on Unsplash

Meine erste Begegnung mit ChatGPT löste Reaktionen aus, die wahrscheinlich bei allen Menschen ziemlich ähnlich ablaufen: Zuerst überkam mich ein ungläubiges Staunen über die beeindruckenden Fähigkeiten dieses neuartigen Computerprogramms. Dann versuchte ich, das System auszutricksen und musste mir eingestehen, dass ChatGPT sich nicht so leicht überlisten lässt wie seine viel einfacher gestrickten Vorgänger Siri und Alexa. Und dann stellte sich ein leichtes Unbehagen ein. Wie kann eine dumme Maschine solche Texte produzieren, die auf den ersten Blick sehr überzeugend und eloquent klingen?

ChatGPT und der Schachtürke

Nach etwa einem Monat intensiver Beschäftigung mit ChatGPT und anderen KI-Tools ist dieses Gefühl verflogen und einer gewissen Ernüchterung gewichen. Selbst als Recherche-Werkzeug nutze ich ChatGPT kaum noch, weil mir der ChatBot immer öfter auf die Nerven gegangen ist. Und zwar wegen seiner oft floskelhaften Sätze, wegen offensichtlicher Falschaussagen und wegen seiner Unfähigkeit, wirklich originelle Formulierungen zu äußern oder wirklich auf sein menschliches Gegenüber einzugehen. Das Programm erinnert mich ein wenig an den berühmten „Schachtürken“ des österreichisch-ungarischen Hofbeamten Wolfgang von Kempelen. Dieser hatte 1769 eine Maschine konstruiert, die den Anschein erweckte, selbstständig Schach spielen zu können. Auf die Maschine war eine Puppe montiert, die in ein türkisches Gewand gekleidet die Schachfiguren bewegte. Angeblich konnte die Maschine sogar Friedrich den Großen in einer Partie besiegen. Tatsächlich war in der Konstruktion jedoch ein kleingewachsener menschlicher Schachspieler versteckt, der sie bediente. Aber auf den Jahrmärkten, auf denen der Apparat zur Schau gestellt wurde, löste er ähnlich begeisterte Reaktionen aus wie heute ChatGPT.

Der große Irrtum

Der Schachtürke war raffiniert konstruiert, aber irgendwann wurde er natürlich entlarvt. Meine These ist, dass ChatGPT zwar ungleich raffinierter konstruiert ist, sodass wir den Bluff noch nicht erkennen, aber der Tag auch hier kommen wird. Angesichts solcher scheinbar intelligenten Maschinenleistungen verfallen die Menschen dem gleichen Irrtum, wie sie es im 18. Jahrhundert taten. In der Religionswissenschaft wird dieses Phänomen Anthropomorphismus genannt. Darunter versteht man die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften auf Tiere, Götter oder Naturgewalten. ChatGPT ist genauso wenig intelligent wie ein Hagelsturm oder wie der Schachtürke. Denn das System hat keinerlei Bewusstsein. Es simuliert lediglich die Fähigkeit bewusster Wesen, über Sprache miteinander zu kommunizieren. Selbst Sam Altmann, CEO des ChatGPT Herstellers OpenAI, bremst die Erwartungen: „Die Leute betteln geradezu darum, enttäuscht zu werden – und das wird auch passieren“, sagte er kürzlich in einem Interview mit Strictly VC.

ChatGPT versteht gar nichts

Die erzeugten Sätze sind für das System nichts anderes als Zeichenketten, mit denen es von sich aus nichts anfangen kann. Die „Intelligenz“ des Systems besteht aus einem Regelwerk, das mit 175 Milliarden Wortparametern trainiert wurde und Rechenoperationen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ausführen kann. Diese Rechenoperationen erzeugen dann Wortkombinationen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Menschen als sinnvoll erkannt werden. Das funktioniert nur, wenn diese Wortkombination in den analysierten Daten schon einmal einen Sinn ergaben und das Programm sich daran „erinnert“, weil es dafür „belohnt“ wurde, diese Kombination zu wählen. ChatGPT versteht also schlicht und ergreifend gar nichts. Wieder ist es der Mensch, der letztlich dahintersteckt. Aber nicht nur einer, sondern letztlich wir alle, weil wir ständig sinnvolle Sätze produzieren und damit die KI-Systeme füttern. Ohne ein verstehendes Bewusstsein, das die Maschine bedient, ist ChatGPT dumm wie ein Sack Stroh.

Viele Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz

Die Einführung neuer Technologien hat in der Menschheitsgeschichte immer sowohl irrationale Ängste als auch übertriebene Begeisterung ausgelöst. Vom Aufstand der Weber über die Technikbegeisterung der italienischen Futuristen bis hin zur Technikfeindlichkeit großer Teile der 68-er Generation. Nach dieser Phase – also, wenn die Technologien in der Alltagswelt angekommen sind – setzt meist eine Gewöhnung ein, die zu einem sachlichen Umgang mit diesen Werkzeugen führt. Hat man die Funktionsweise von Chatbots und KI erst einmal verstanden, kann man sie gezielt einsetzen und sich zunutze machen. Zum Beispiel bei der Bildanalyse in radiologischen Praxen. Hier kann man die Fähigkeit der KI, in großen Datenmengen Muster zu erkennen, gezielt für die Diagnose von Krankheiten einsetzen, Arbeitsabläufe effizienter gestalten und die Ergebnisse noch genauer machen. Ein anderes Beispiel ist der Kundenservice, in dem die bisherigen Chatbots einfach grottenschlecht waren. Auch für die Erstellung einfacher Texte wie Aufsätze auf Grundschulniveau ist ChatGPT sehr gut geeignet. Das verursacht jedoch ein neues Problem: dass die Schüler nicht mehr lernen, selbstständig zu denken und Texte zu formulieren.

Wo weitere Gefahren lauern

Die Verbreitung von Chatbots, die vorgeben, intelligent zu sein, kann auch negative Folgen haben, die wir heute noch gar nicht sehen. Ich erinnere nur an die anfängliche Euphorie beim Aufkommen sozialer Netzwerke. Nachdem Autokraten und Demokratiefeinde auf der ganzen Welt soziale Medien als ideale Verbreitungsplattform für Desinformation und Hetze entdeckt haben, hat die Begeisterung auch hier einen großen Dämpfer erhalten. Schlimm wäre es auch, wenn sich die Auffassung verbreiten würde, dass geistige Arbeit nichts mehr wert ist, weil KI-Werkzeuge sie quasi umsonst erledigen. Das ist nicht der Fall. Denn wir zahlen einen hohen Preis. KI-Werkzeuge verbrauchen aufgrund der notwendigen hohen Rechenleistung gigantische Mengen an Strom und sie werden nicht umsonst zu haben sein. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Hersteller den kostenlosen Zugang einschränken und kostenpflichtige Funktionen einführen werden. Außerdem wären auch die gesellschaftlichen Kosten nicht tragbar, wenn KIs tatsächlich Millionen von Arbeitsplätzen vernichten würden. Das kann niemand ernsthaft wollen. Deshalb arbeitet die EU bereits an einem „KI-Gesetz“, das Regeln für einen sicheren und sozialverträglichen Einsatz von KI festlegen soll. Bei den sozialen Medien hat man damit erst begonnen, nachdem das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Man kann sich nur wünschen, dass die Politik diesmal schneller ist.

Fazit

Letztlich werden wir alle im Arbeitsleben mehr und mehr auf die Arbeit von KI-Assistenzsystemen zurückgreifen, um schneller und besser zu werden. Aber ersetzen werden diese Systeme uns meiner Meinung nach nie. Im Moment sind sie mir für meine Arbeit auch noch nicht gut genug. Deshalb greife ich beim Schreiben längerer Artikel nach wie vor auf verschiedene Quellen – auch das persönliche Gespräch – zurück und verlasse mich auf meine eigenen Formulierungskünste. Abgesehen von einfachen Gebrauchstexten sind mir die Ergebnisse von ChatGPT oft zu allgemein, ungenau und schwer überprüfbar. Das macht einen Einsatz auch aus rechtlicher Sicht problematisch (lesen Sie dazu auch das Interview mit Dr. Thomas Schwenke). Kollege ChatGPT hat also noch viel zu lernen, bevor er übernehmen kann.

Autor: Christoph Steinhauer, freier Journalist aus Bonn


Niemals geht man so ganz

Niemals geht man so ganz

AGEV-Ehrenvorsitzender Leonhard Müller

Der AGEV-Ehrenvorsitzende Leonhard Müller feierte jüngst seinen 80. Geburtstag, zu dem wir herzlich gratulieren. Ein gegebener Anlass, ihn zu fragen, wie sein Alltag ohne die AGEV heute aussieht. Wie nicht anders zu erwarten, sprachen wir auch über die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation in Deutschland und der Welt, die Leonhard Müller wie immer glasklar und mit großem Fachwissen analysiert. Auf seine Sicht auf die drängendsten Probleme und welche klugen Ratschläge er für Politik hat, dürfen Sie gespannt sein: 

AGEV: Als langjähriger Geschäftsführer und Vorsitzender des Vorstands haben Sie die AGEV wie kein anderer bis zum August 2021 geprägt. Haben Sie Ihre Entscheidung, Ihr Amt bei der AGEV niederzulegen, schon mal bereut?

Leonhard Müller: Die Entscheidung habe ich nicht bereut, da die Weichen durch den langjährigen Aufbau des Verbandes ja gestellt wurden. Der neue Vorstand und die Geschäftsführung führen die AGEV erfreulicherweise sehr erfolgreich weiter.

AGEV: Gibt es etwas, das Sie aus Ihrer AGEV-Zeit vermissen?

Leonhard Müller: Man geht nie so ganz. Da ich immer noch Kontakt zur AGEV habe, bleibt die Verbindung bestehen. So kann ich nach wie vor meine Erfahrungen, die ich durch langjährige berufliche Erlebnisse und Laufbahnen gewonnen habe, einbringen.

AGEV: Wie können wir uns Ihren heutigen Alltag vorstellen? Haben Sie mehr Zeit für Hobbys und Familie?

Leonhard Müller: Auch wenn mein Alltag durchaus ausgefüllt ist, habe ich endlich etwas mehr Zeit. Vielleicht aber immer noch etwas zu wenig für meine Großfamilie, denn die Politik auf kommunaler Ebene, Stadt und Landkreis Rhein-Sieg fordern aktuell sogar noch etwas mehr Zeit. Denn ich bin ja nach wie vor noch Vorsitzender der Seniorenunion der CDU Meckenheim und stellvertretender Vorsitzender der Seniorenunion auf Kreisebene.

AGEV: Die Welt befindet sich im permanenten Krisenmodus. Auf die Coronakrise, die ja noch in Ihre Amtszeit fiel, folgte wenige Monate später der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise. Wie haben Sie als politischer Mensch die Entwicklung seit Mitte 2021 erlebt?

Leonhard Müller: Ich habe die Entwicklung nicht nur erlebt, sondern in vielen Bereichen – ausgenommen die Corona-Pandemie – auch vorausgesehen. Zweifellos hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff „Zeitenwende“ den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber dieser Begriff muss auch mit Leben gefüllt werden! Denn wenn starken Kanzlerworten nichts Entsprechendes folgt, sind die Menschen zu Recht enttäuscht.

AGEV: Wie sehen Sie das Verhältnis von Europa und den USA auch in Hinblick auf die Unterstützung im Ukrainekrieg?

Leonhard Müller: In der Außen- und Sicherheitspolitik müssen die Europäer mehr Geschlossenheit und mehr Entschlossenheit zeigen. Oft sind wir nur Getriebene und ergreifen zu wenig die Initiative, wie es für eine geostrategische Macht – aber nicht Weltmacht – angemessen wäre. Denn mittlerweile zeigt sich, dass die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten immer mehr auseinanderdriftet. Das könnte dazu führen, dass sich die USA Schritt für Schritt aus ihrer weltpolitischen Verantwortung zurückziehen. Der überhastete Rückzug aus Afghanistan ist ein Beispiel dafür. Ich schaue daher mit großer Sorge auf die kommenden US-Wahlen. Denn dabei wird es vor allem darum gehen, ob der US-Bevölkerung weitere Milliardenhilfen für die Unterstützung der Ukraine zuzumuten sind – angesichts der eigenen innenpolitischen Probleme und der viel geringeren militärischen Unterstützung durch Deutschland und Europa. Würden die USA ihre Unterstützung zurückfahren oder gar beenden, müsste Europa allein die riesige Lücke füllen, was militärisch schwierig bis unmöglich würde und zu großen Verwerfungen führen könnte.

AGEV: Welche Tipps geben Sie der jungen Generation, die sich ja zum Teil wegen der Klimakrise als „letzte Generation“ empfindet?

Leonhard Müller: Mit Blick auf die zu erwartende Klimakrise habe ich großes Verständnis für die Sorgen und Ungeduld vieler Aktivisten und Aktivistinnen aus der jungen Generation. Aber diese Generation ist meiner Überzeugung nach keineswegs die „letzte Generation“, sondern genauso wie alle Generationen davor, in der Pflicht, die Zukunft ihrer Kinder zu gestalten. Dazu bietet unser demokratisches System eine Fülle an Informations- und Wahlmöglichkeiten. Wofür ich gar kein Verständnis habe: wenn versucht wird, Ziele mit Gewalt zu erreichen. Autos anzuzünden, Schaufenster einzuschlagen, Kunstwerke zu zerstören oder Rettungsdienste und andere zu blockieren sind keine legitimen Formen des Protests, sondern Straftaten, für die die Täter zur Verantwortung gezogen werden müssen.

AGEV: Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland?

Leonhard Müller: Kurzfristig bin ich relativ optimistisch. Die Inflation wird in kleinen Schritten zurückgehen und die Wirtschaft wird wieder anspringen. Auch die Abhängigkeit der Unternehmen von einzelnen Partnern wie China wird mittelfristig sinken. Was mir langfristig allerdings große Sorgen macht, ist der immer schlimmer werdende Fachkräftemangel und die überbordende Bürokratie in Deutschland. Wir sind zu mutlos, zu einfallslos, zu kompliziert, zu langsam und zu ineffizient geworden. Für den Umbau benötigen wir nicht immer mehr Beamte und Mitarbeitende im öffentlichen Dienst, sondern gut ausgebildete Erfinder, Gründer und Gestalter – also Menschen wie diejenigen, die einst den heutigen Wohlstand geschaffen haben. Ansonsten verlieren wir immer mehr den Anschluss. Wenn wir nicht endlich gegensteuern, wird der Wohlstand in Deutschland signifikant schrumpfen. Das wiederum wird die Unzufriedenheit weiterwachsen lassen und könnte irgendwann unser demokratisches System in seinen Grundpfeilern gefährden. Wir haben ja in der Vergangenheit sehen können, wie in Ländern wie Russland, der Türkei und China Autokraten ihre Macht immer weiter ausgebaut und grundlegende Freiheits- und Menschenrechte immer weiter abgebaut haben. Ich hätte nie gedacht, dass einzelne Menschen jemals wieder solche Macht über ihr Volk erlangen können – darin sehe ich die größte Gefahr für die Zukunft.


Brauchen wir eine Regulierung der Plattformarbeit? Ein Thema – zwei Meinungen

TOP

Brüssel will die Arbeitsrechte von Plattformarbeitern stärken. In der EU-Richtlinie ist der Begriff allerdings so schwammig definiert, dass nahezu jeder Soloselbstständige darunterfallen könnte. Ist die EU-Regulierung nötig? Wir haben zuerst Christina Ramb, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), und dann Dennis Radtke, Mitglied des EU-Parlaments, nach ihrer Position zu dem Thema befragt.

Christina Ramb (Bildquelle: BDA Michael Huebner)

AGEV: Frau Ramb, brauchen wir aus Sicht der Arbeitgeber überhaupt eine stärkere Regulierung von Plattformarbeit?

Christina Ramb: Egal ob bei digitalen Arbeitsplattformen oder im Rest der Wirtschaft: Der Beschäftigungsstatus sollte korrekt bestimmt werden. Wenn eine abhängige Beschäftigung vorliegt, müssen Plattformtätigen die gleichen Arbeits- und Sozialschutzrechte eingeräumt werden wie allen anderen Arbeitnehmern auch. Das gleiche gilt für jene Arbeitsplattformen, die Arbeitgeber sind und sich damit an dieselben arbeitsrechtlichen Pflichten halten müssen, die für andere Unternehmen auch gelten. In Deutschland haben wir schon längst entsprechende Verfahren, um feststellen zu können, ob ein Arbeitsverhältnis besteht. Dafür brauchen wir keine EU-Regulierung. Stattdessen sollten überall dort, wo Plattformarbeit in den Mitgliedstaaten eine Herausforderung im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen und dem Sozialschutz darstellt, mögliche Probleme national angegangen werden. So kann es sinnvoll sein, auf nationaler Ebene den Zugang zum Sozialschutz von Selbstständigen zu stärken.

AGEV: Viele Selbstständige befürchten, dass ihr Status durch die Richtlinie quasi abgeschafft wird. Wie beurteilen Sie die Pläne der EU-Kommission?

Christina Ramb: Die EU-Kommission schlägt vor, die gesetzliche Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses anhand eines einheitlichen europäischen Kriterienkatalogs auszulösen. Ein Arbeitsverhältnis lässt sich nach diesen Kriterien entsprechend schnell vermuten. Das kann in der Praxis leicht zu einem unerwünschten Beschäftigungsverhältnis für Selbstständige führen, die ihre Flexibilität und unternehmerische Freiheit genießen und gar keinen Arbeitnehmerstatus anstreben. Bei der Bewertung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung aller Umstände notwendig. Das muss von Fall zu Fall entschieden werden und sich nach den Maßgaben und Kriterien der Mitgliedstaaten richten. Mit einem europäischen Kriterienkatalog würde die Richtlinie demgegenüber einen europaweiten Arbeitnehmerbegriff für die Plattformökonomie einführen, der nicht mit den bestehenden nationalen Arbeitssystemen vereinbar ist und weitreichende Folgen hätte.

AGEV: Welche weiteren Kollateralschäden sehen Sie für Ihre Mitglieder?

Christina Ramb: Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer, die Soloselbstständige sind, entgegen ihrem eigenen Interesse in Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden, die vor Gericht nur schwer zu widerlegen sind, hätte das auch weitreichende Folgen für unsere Betriebe. Für KMU etwa würde es die Beauftragung externer Spezialisten und Berater erheblich erschweren. Gerade der Projektbereich ist durch spezialisierte Einzelunternehmer geprägt, die ihre Dienstleistungen verschiedenen Unternehmen anbieten. Wir sehen besonders jene Vorschläge der Co-Gesetzgeber mit großer Sorge, die die Definition von digitalen Arbeitsplattformen auf die gesamte Wirtschaft ausweiten würden. Unternehmen, die ihre Arbeitsprozesse digital organisieren, dürfen nicht als Plattform gelten. Das ist absurd und widerspricht jedem Verständnis einer modernen, sich digitalisierenden Arbeitswelt.

AGEV: Frau Ramb, danke für das Gespräch.

 

Dennis Radtke

AGEV: Herr Radtke, wozu brauchen wir überhaupt eine stärkere Regulierung von Plattformarbeit?

Dennis Radtke: Die Zahl der Plattformen und Plattformarbeiter ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Die aktuell geltenden Regulierungen werden den Herausforderungen dabei häufig nicht gerecht. Die Europäische Kommission schätzt, dass etwa 5,5 Millionen der insgesamt rund 26 Millionen Plattformarbeiter scheinselbstständig sind. Das betrifft vor allem Plattformarbeiter im Bereich Essenslieferdienste und Fahrdienstleister. Viele Plattformen sind europaweit und global tätig, sodass eine europäische Richtlinie sinnvoll ist, um ein Level Playing Field zu erzeugen.

AGEV: Wie kann man denn verhindern, dass der Status der Selbstständigkeit durch die Richtlinie quasi abgeschafft wird?

Dennis Radtke: Wir stellen klar, dass Plattformarbeiter entweder genuin selbstständig sind oder Angestellte. Einen dritten Status soll es nicht geben. Wer genuin selbstständig ist und das auch bleiben möchte, kann das ohne Probleme weiter sein. Wir schaffen rechtssichere Bedingungen sowohl für diese echten Selbstständigen als auch für die Scheinselbstständigen. Die Vermutung eines Angestelltenverhältnisses wird entweder ausgelöst, wenn ein Betroffener klagt oder die jeweils zuständige Behörde in den Mitgliedstaaten Unregelmäßigkeiten beim Status feststellt. Daraufhin hat die Plattform die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen. Somit schaffen wir eine echte Beweislastumkehr. Erst am Ende dieses Prozesses fällt die Entscheidung, ob eine Person selbstständig oder angestellt ist. Von einer Abschaffung der Selbstständigkeit kann nicht die Rede sein.

AGEV: Warum werden dann keine Positivkriterien für einen rechtssicheren Status von Selbstständigen, die das gerne sein möchten, geschaffen?

Dennis Radtke: Die Entscheidung darüber, ob jemand selbstständig oder angestellt ist, liegt in den Händen der Mitgliedstaaten. In Deutschland haben wir dafür seit Jahren klare Kriterien zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit. Die europäische Richtlinie soll lediglich Empfehlungen darüber geben, welche Kriterien hierfür beachtet werden sollten.

AGEV: Wird hier nicht versucht, unter den Deckmantel des Schutzes vor Ausbeutung möglichst viele Selbstständige mit zusätzlichen Abgaben zu belasten, um auf diese Weise einfach nur viel Geld in die Sozialkassen zu spülen?

Dennis Radtke: Keinesfalls. Wir schaffen klare und rechtssichere Bedingungen, damit die Scheinselbstständigen ihre Rechte erhalten können und echte Selbstständige dies auch bleiben können. Keiner hat ein Interesse daran, diese Selbstständigen in Arbeitsverhältnisse zu drängen, in die sie gar nicht möchten und gehören.

AGEV: Herr Radtke, danke für das Gespräch.

Christina Ramb
Christina Ramb ist seit September 2020 Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Berlin. Von Juli 2018 bis August 2020 leitete die Juristin die Abteilung Arbeit und Qualifizierung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Düsseldorf.

 

Dennis Radtke
Seit Juli 2017 ist Dennis Radtke Mitglied des Europäischen Parlaments für die CDU. Hier gehört er der Fraktion der transnationalen Europäischen Volkspartei (EVP) an. Er ist Mitglied des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie.


„Deutschland muss technologisch unabhängiger werden“

TOP

3. November 2022


Interview mit Mario Brouwers, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AGEV. Neben Burkhard Dickmann, den wir in der letzten Ausgabe interviewten, ist Brouwers das zweite neue Gesicht im Vorstand der AGEV. Er ist zudem Inhaber der cyberfabrik – Agentur für Webdesign & Webentwicklung in Bonn.

AGEV: Der neue Vorstand der AGEV hat vor über einem Jahr mit seiner Arbeit begonnen. Was war in dieser Zeit für Sie besonders wichtig?

Mario Brouwers: Zunächst natürlich das gesamte AGEV-Team kennenzulernen und dann direkt in die anstehenden Themen einzusteigen. Dieser Prozess hat dank des guten Teamworks nicht lange gedauert, und so konnte ich schnell mit den drängendsten Aufgaben beginnen. Und das war die Neugestaltung der Mitgliederkommunikation. Die AGEV will noch digitaler und interaktiver werden. Deshalb haben wir die Website komplett neugestaltet und das bisherige AGEV-Magazin endgültig auf den digitalen Versand umgestellt. Das erste digitale Magazin unter dem neuen Namen „AGEV im Dialog“ haben wir im September versendet.

AGEV: Wie sind Sie bei der Neuausrichtung vorgegangen?

Mario Brouwers: Das alte Content Management System, dass der AGEV-Website zugrunde lag, war ein proprietäres System. Es war in die Jahre gekommen. Es fehlten zum Beispiel Schnittstellen zu Social-Media-Kanälen oder die Flexibilität bei der Gestaltung auf der redaktionellen Ebene. Erweiterungen wären nur mit erheblichem Aufwand und Kosten zu realisieren gewesen. Deshalb suchten wir ein benutzerfreundliches, modernes, datenbankbasiertes System, das einerseits offen für diverse Erweiterungen ist und gleichzeitig größtmögliche Gestaltungsoptionen auch für Anwender ohne Programmierkenntnisse bietet. Aufgrund dieser Anforderungen war schnell klar, dass wir auf das weltweit meistverbreitete CMS-System WordPress ­umsteigen wollen. WordPress wird als open-source-basiertes System von tausenden von freiwilligen und professionellen Programmieren unterstützt und bietet so maximale Flexibilität und zugleich Zukunftssicherheit.

AGEV: Wie sieht es dabei mit dem heiklen Thema Datensicherheit aus?

Mario Brouwers: Das ist tatsächlich ein ganz wichtiger Punkt. Unsere Mitglieder müssen sich darauf verlassen können, dass ihre persönlichen Daten bei uns absolut sicher sind. Deshalb haben wir die bewährte Mitgliederverwaltungssoftware erst mal nicht erneuert. Auch unser bisheriger Hosting-Anbieter, der unsere Daten natürlich auf sicheren Servern in Deutschland speichert, bleibt uns erhalten. Wenn sich hier in Zukunft noch Optimierungsbedarf ergeben sollte, werden wir dies in einem weiteren Schritt angehen. Im Moment sehe ich da aber noch keinen Handlungsbedarf.

AGEV: Können Sie unseren Mitgliedern aus Ihrer Erfahrung ein paar Tipps geben? Worauf sollte man bei der Gestaltung einer Website achten?

Mario Brouwers: Das Thema Website sollte nie isoliert betrachtet werden. Im Idealfall ist sie möglichst nahtlos in die bestehenden Geschäftsprozesse integriert. Ich mache das mal am Thema Kundenakquise fest: Die Besucher der Seite sollten ohne Hürden zu einem Kontaktformular geleitet werden. Dieses muss dann wiederum beim zuständigen Mitarbeiter oder bei der zuständigen Mitarbeiterin ankommen und entsprechend beantwortet werden, z. B. durch das Erstellen eines Angebots. Das hört sich einfach an, kann aber im Detail durchaus komplexe Überlegungen erfordern.

AGEV: Wäre es sinnvoll, sich beraten zu lassen?

Mario Brouwers: Auf jeden Fall. Zwar kann heute jeder eine Visitenkarte ins Netz stellen, aber die bewirkt dann auch nicht viel. Geht es um Themen wie Anpassbarkeit bei wachsenden oder sich verändernden Anforderungen, um professionelle und rechtssichere Gestaltung, kann Beratung Gold wert sein. Denn ansonsten fängt man immer wieder von vorne an, weil man sich schnell in eine technische Sackgasse hineinmanövriert. Niemand sollte außerdem die Gefahr von Abmahnungen unterschätzen. Wir erleben gerade wieder eine Welle von Abmahnungen wegen des Einsatzes von Google Fonts. Oftmals weiß der Website-Betreiber nicht einmal, dass er seine Schriften von Google-Servern lädt, die in den USA stehen. Und schon verstößt er gegen die Datenschutzgrundverordnung.

AGEV: Wie sehen Sie als Webentwickler dieses Problem?

Mario Brouwers: Datenschutz ist richtig und wichtig – gar keine Frage. Aber ich fürchte, dass ein Großteil der Politiker leider wesentliche technische Grundlagen nicht versteht. Nehmen wir etwa das Beispiel Google Fonts. Diese können das Surfen im Netz extrem beschleunigen, indem Daten nicht immer komplett geladen werden müssen, sondern nur bei Bedarf nachgeladen werden. Verbietet man solche Technologien, sollte man sich nicht wundern, wenn dann alles langsamer und umständlicher wird. Noch so ein Beispiel sind die Cookie-Banner, die wir alle seit drei Jahren beim Besuch jeder Seite wegklicken müssen. Kostet nur viel Zeit und Nerven, bringt aber wenig für den Datenschutz.

AGEV: Wäre das nicht auch ein politisches Thema für die AGEV?

Mario Brouwers: Definitiv! Alle Datenschutzlösungen kranken an der Tatsache, dass es seit Jahren kein Abkommen für den rechtssicheren Datenaustausch zwischen den USA und Europa gibt, wir aber technologisch immer abhängiger von US-Firmen werden. Jeder nutzt Software von Microsoft oder Google. Europa müsste technologisch endlich unabhängiger werden – etwa durch eine eigene Cloudarchitektur, wie sie mit Gaia-X angedacht ist. Leider geht es mit diesem Projekt seit Jahren kaum vorwärts. Zwar hat Präsident Biden am 7. Oktober eine „Executive Order“ unterschrieben, mit der die USA erstmals zugestehen, dass sie die Anforderungen der DSGVO erfüllen und die Massenüberwachung von EU-Bürgern einschränken wollen. Das ist aber nur eine Absichtserklärung. Wie diese mit Leben gefüllt werden soll, ist nicht klar, und deshalb hat der österreichische Datenaktivist Max Schrems, der bisher noch jedes Abkommen zu Fall gebracht hat, angekündigt, auch dagegen vor dem EuGH zu klagen. Deshalb wird uns dieses Thema auf jeden Fall noch lange beschäftigen.

AGEV: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Mario Brouwers führte für die AGEV Christoph Steinhauer, Steinhauer Kommunikation Bonn. Fragen, Anregungen oder Meinungen zu diesem Interview senden Sie bitte an:

Kontakt:

AGEV - Arbeitgebervereinigung für Unternehmen aus
dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie e. V.
Bonner Talweg 55
53113 Bonn

Tel. 0228 98375-0
Mail: info@agev.de


„Unternehmer brauchen Freiräume für ihre Ideen“

TOP

13. September 2022


Als Burkhard Dickmann vor einem Jahr als Vorstandsvorsitzender der AGEV startete, war die Welt noch eine andere. Wir sprechen mit ihm über sein erstes turbulentes Jahr als AGEV-Vorsitzender – und wichtige Themen, die auf seiner Agenda stehen.

AGEV: Alle haben sich auf eine Erholung von den Folgen der Pandemie gefreut. Dass im Jahr 2022 dann ein Krieg in Europa, Inflation, Energiekrise und globale Lieferkettenengpässe folgen, hätte niemand gedacht. Wie haben Sie Ihr erstes Jahr als AGEV-Vorsitzender erlebt?

Burkhard Dickmann: Es war tatsächlich ein turbulentes Jahr, das uns leider weitere Krisen gebracht hat. Aber ich bin ein positiver Mensch und sehe auch die Chancen. Genauso wie Corona ein Booster für die Digitalisierung war, so ist die Energiekrise jetzt ein Booster für die Nutzung regenerativer Energien wie Sonne und Windkraft. Nachhaltiger Konsum und Kreislaufwirtschaft rücken in greifbare Nähe. Leichter wäre es natürlich, wenn wir für diesen Prozess mehr Zeit hätten. Deshalb wird es nicht ohne einige Verwerfungen und Härten gehen. Hier ist die Politik gefordert, diese Härten abzufedern.

AGEV: Woran denken Sie da konkret?

Dickmann: Die steigenden Preise wirken sich natürlich besonders katastrophal bei den Menschen aus, die sowieso schon knapp bei Kasse sind. Denen muss geholfen werden. Die AGEV hat dabei natürlich in erster Linie ihre Mitglieder im Blick. Das heißt die bei uns organisierten Selbstständigen und Freiberufler. Viele haben in der Coronazeit ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen und stehen jetzt vor möglicherweise noch größeren Herausforderungen. Es deutet sich jetzt schon an, dass sich immer mehr Konsumenten mit Ausgaben zurückhalten. Das ist ja auch völlig rational angesichts der Kostenlawine, die da auf uns alle zurollt. Es führt aber bei Unternehmen zu sinkenden Umsätzen, bei gleichzeitig steigenden Kosten für Energie, Personal und den Wareneinkauf.

AGEV: Was kann die Politik da tun?

Dickmann: Der Mittelstand und die vielen kleinen Unternehmen bilden das Fundament unserer Marktwirtschaft. Dieses Fundament muss immer mehr Belastungen tragen und droht gleichzeitig durch die vielen Krisen zu erodieren. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Politik wenigstens nicht immer weitere Belastungen erfinden würde. Leider geschieht das Gegenteil. So wird zum Beispiel in Brüssel eine Richtlinie vorbereitet, die sich vordergründig dem Schutz von sogenannten „Plattformarbeitern“ widmet. Das sind diejenigen Menschen, die über Internetplattformen für Löhne weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn arbeiten – also etwa Fahrradkuriere, Click-Worker, die zum Beispiel irgendwelche Bilder im Internet anklicken oder Menschen, die ihre Wohnung an Touristen vermieten. Das Problem dabei ist, dass die Definition eines Plattformarbeiters so weit gefasst ist, dass praktisch jeder Selbstständige darunterfällt, der einen Computer nutzt. Das könnte dann dazu führen, dass er beweisen muss, nicht scheinselbstständig zu sein, was angesichts äußerst schwammiger Kriterien nahezu unmöglich ist.

AGEV: Wie positioniert sich die AGEV bei diesem Thema?

Dickmann: Die AGEV hat schon vor Jahren gefordert, dass endlich klare Kriterien festgelegt werden, die definieren, wer selbstständig tätig ist und wer nicht. Wir brauchen hier dringend Rechtssicherheit statt noch größerer Unsicherheit. Wenn potenzielle Auftraggeber aus Angst vor exorbitanten, über Jahre rückwirkenden, finanziellen Forderungen der Rentenkasse keine Aufträge mehr an Freelancer vergeben, bedroht das deren Existenzgrundlage. Als AGEV-Verantwortliche fühlen wir uns unseren Mitgliedern verpflichtet und das bedeutet, dass jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, sofern er die Rechte anderer nicht verletzt. So sieht es unsere Verfassung vor. Gutgemeinter Schutz gegen Ausbeutung darf nicht dazu führen, dass Menschen, die gerne und freiwillig selbstständig arbeiten möchten, letztlich kriminalisiert werden.

Unternehmer brauchen Freiräume, in denen sie ihre Ideen entwickeln können. Das heißt natürlich nicht, dass in Wild-West-Manier jeder macht, was er will. Aber davon sind wir in Deutschland sehr weit entfernt. Das Pendel ist längst in die andere Richtung ausgeschlagen. Viele fühlen sich heute durch die vielen Verordnungen und Gesetze so eingeschränkt, dass viele Projekte aufgegeben werden, bevor sie überhaupt angefangen haben. Auf diese Weise werden Innovationen sowie neue Unternehmen im Keime erstickt.

AGEV: Welche weiteren Themen möchten Sie in den nächsten Jahren noch bearbeiten?

Dickmann: Die globale Klimaerwärmung und der dadurch notwendige Umbau der Wirtschaft weg vom Verbrauch fossiler Energien ist für mich die größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Und das ist natürlich auch für die AGEV ein ganz wichtiges Thema, das auch viele Chancen für unsere Mitglieder mit sich bringt. Deshalb werden wir regelmäßig neue Konzepte und Innovationen vorstellen, die Ökologie, Ökonomie und Digitalisierung miteinander verbinden.

AGEV: Wie kann die AGEV sich hier einbringen?

Dickmann: Ich bin davon überzeugt, dass wir am Beginn einer neuen Gründerzeit stehen. Nur mit neuen Ideen und mehr Risikobereitschaft werden wir unseren Wohlstand erhalten. Was gibt es Schöneres, als eine Idee zu verwirklichen, indem man ein erfolgreiches Unternehmen aufbaut, das anderen Menschen Arbeit gibt und die Probleme der Kunden löst? Wir müssen Menschen motivieren, ihre Träume zu verwirklichen, statt sie zu bevormunden und einzuengen. Natürlich brauchen wir auch engagierte Menschen, die im Staatsdienst arbeiten. Es kann aber nicht sein, dass der Traum der meisten jungen Menschen in Deutschland eine Anstellung im öffentlichen Dienst oder eine Beamtenkarriere ist – also schon beim Berufseinstieg den sichersten Weg zu wählen. Deshalb müssen wir gerade jungen Menschen ein positiveres Bild vom Unternehmertum vermitteln. Das wird eine weitere sehr wichtige Aufgabe für die AGEV werden.

AGEV: Was motiviert Sie bei der Arbeit für die AGEV besonders?

Dickmann: Mir macht die Zusammenarbeit mit meinen Vorstandskollegen sowie dem ganzen AGEV-Team sehr viel Freude. Wir verstehen uns alle sehr gut und haben ganz ähnliche Ansichten, was die Arbeit bei der AGEV betrifft. Mir persönlich – aber auch meinen Kollegen ­– ist es ein großes Anliegen, unseren Mitgliedern praktische Hilfe in einem immer schwieriger werdenden Umfeld zu geben, also konkrete Tipps für ihren Unternehmensalltag. Dazu dienen unsere neue Website, der Newsletter und unsere Präsenz- und Online-Workshops. Durch die Konzentration auf agev.de als die zentrale Mitgliederplattform informieren wir schneller und umfassender als bislang. Die AGEV ist eine große Gemeinschaft mit viel Potenzial. Wenn wir neben der wichtigen politischen Arbeit auch das eine oder andere schlummernde Talent in unserer Mitgliederschaft entdecken und diesem zum Erfolg verhelfen können, haben wir sehr viel erreicht.

AGEV: Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview mit Burkhard Dickmann führte für die AGEV Christoph Steinhauer, Steinhauer Kommunikation Bonn. Fragen, Anregungen oder Meinungen zu diesem Interview senden Sie bitte an:

Kontakt:

AGEV – Arbeitgebervereinigung für Unternehmen aus
dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie e.V.
Bonner Talweg 55
53113 Bonn

Tel. 0228 98375-0
Mail: info@agev.de

Burkhard Dickmann, Vorstandsvorsitzender der AGEV