Urban Mining – die Stadt als Rohstofflager
Obwohl unsere Städte riesige Materiallager sind, wird dieser Schatz viel zu selten gehoben. Gebäude sind das beste Beispiel: Nach dem Abriss landen Bauteile und Bauschutt meist auf Deponien statt im Kreislauf. Doch der Urban-Mining-Ansatz, die Stadt als Rohstoffmine zu betrachten, könnte angesichts von Umweltauflagen und Rohstoffknappheit konkurrenzfähig werden. Auch hier zeigt sich: Ohne Digitalisierung ist das nicht zu machen.
Mehr als 70 Prozent der in Deutschland abgebauten Rohstoffe werden in der Bauwirtschaft verwendet. Sie ist ein Rohstofffresser, der das Klima immens belastet und gleichzeitig mit Ressourcenknappheit, Materialengpässen und lückenhaften Lieferketten zu kämpfen hat. Dass Bau- und Abbruchabfälle nach wie vor im großen Stil auf Deponien landen, kann sich die Branche auf Dauer kaum leisten. Die in Europa und Deutschland geplante Regulierung wird sie über kurz oder lang zu Stoffkreisläufen zwingen. Doch warum wird bisher nur ein verschwindend geringer Teil des verbauten Materials in den Kreislauf zurückgeführt? Weil das schlicht noch zu kompliziert, zu unwirtschaftlich und kaum digitalisiert ist. Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind jedoch wichtige Hebel, um die Immobilien- und Bauwirtschaft auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft zu unterstützen.
Häuser bekommen einen Digitalpass
Der Haken: Bislang fehlt ein einheitlicher Standard. Doch statt auf den Staat zu warten, haben einige Unternehmen die Initiative ergriffen und arbeiten mit der Immobilienwirtschaft zusammen, zum Beispiel das mehrfach ausgezeichnete Startup Concular, das einen digitalen Pass für Gebäude entwickelt und bereits über 250 Projekte damit realisiert hat. Von Stuttgart und Berlin aus unterstützt es seit 2020 die Bauwirtschaft dabei, Baustoffe in den Kreislauf zurückzuführen. Kernstück ist eine Software, mit der sich die Materialien in einem Gebäude digital erfassen lassen – zum Beispiel, welche Materialien und Bauteile in welcher Menge verbaut wurden, wie sich der Rückbau gestaltet, welche Qualität die Bauteile haben und wie viel CO2 durch Wiederverwendung und Recycling eingespart werden kann. Damit nicht nur Immobilienbesitzer wissen, was in ihrem Abrissgebäude steckt, bringt Concular sie über die Software mit Architekten und Immobilienentwicklern zusammen. Diese können auf der Plattform ihre Entwürfe hochladen und ihren Materialbedarf angeben. Der digitale Pass zeigt an, wann welches Abbruchmaterial verfügbar ist, und der Algorithmus bringt dann Angebot und Nachfrage zusammen. Auch um Recycling, Zertifizierung und Transport kümmert sich das Startup mit seinen Partnern. Eines der Referenzprojekte ist die Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart. Beim Umbau der Haupttribüne fielen zahlreiche Abbruchmaterialien zur Wiederverwendung an, die durch die technologische Lösung identifiziert und vermittelt werden konnten, statt auf der Deponie zu landen.
Die Online-Plattform Madaster zielt ebenfalls darauf ab, den Übergang zu einer kreislauforientierten Bauwirtschaft voranzutreiben. Sie wurde 2017 in den Niederlanden gegründet und ist mittlerweile in der Schweiz, Belgien, Norwegen, Österreich und Deutschland aktiv, um ein digitales Materialkataster aufzubauen. Die digitale Karte soll nach und nach die Materialdaten von Neubauten und bestehenden Gebäuden erfassen, um Such- und Transaktionskosten zu reduzieren. Erfasst werden Art und Menge der verbauten Materialien, welche davon recycelbar und welche wiederverwendbar sind und was deponiert werden muss. Durch die Verknüpfung mit Rohstoffbörsen erfahren Immobilieneigentümer auch, welcher Materialwert in ihrer Immobilie steckt. Um die Datensicherheit der Plattform langfristig zu gewährleisten und sie vor dem Verkauf zu schützen, steht hinter Madaster eine gemeinnützige Stiftung. „Der Gebäudeeigentümer muss sich mit dem Ziel der Plattform identifizieren und dem zustimmen. Die Daten sind sein Eigentum. Wechselt der Eigentümer, wird der Zugang weitergegeben“, erklärte Patrick Bergmann, Geschäftsführer von Madaster Deutschland, gegenüber dem Deutschen Architektenblatt.
Bei der Vermittlung von gebrauchten Bauteilen sind digitale Vernetzung und kurze Wege das A und O. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Plattform Bauteilbörse Bremen, die die Architektin Ute Dechantsreiter bereits vor 15 Jahren nach Schweizer Vorbild gegründet hat. Hier lagern 1.600 gebrauchte Bauteile, jedes einzelne nummeriert und in einer digitalen Datenbank erfasst. Ein flächendeckendes Netz solcher Börsen gibt es in Deutschland aber noch nicht. Die Architektin sagte in einem NDR-Bericht über Urban Mining, es brauche in Deutschland ähnlich wie in der Schweiz eine Verwaltungsvorschrift für die Verwendung von Recycling-Beton, dann würden sich die Firmen darauf einstellen und die Nachfrage steige. Gerade Recyclingbeton spare Ressourcen. Es brauche noch mehr politische und wirtschaftliche Anreize. So forderte die Architektin eine Senkung der Mehrwertsteuer auf gebrauchte Materialien (lesen Sie zum Thema Mehrwertsteuersatz bei Reparaturen auch die AGEV-Positionierung). Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, Wissen zu vermitteln und Impulse zum geregelten Rückbau und zum recyclinggerechten Planen und Bauen zu geben, hat sie den Bundesverband Bauteilnetz gegründet.
Vom Bauschutt zum Baustoff
Obwohl das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz längst die bevorzugte Verwendung von Recycling-Bauschutt vorschreibt, ist die Praxis davon noch weit entfernt – selbst wenn Entsorger prinzipiell in der Lage sind, Bauschutt so aufzubereiten, dass er als Rezyklat verwendet werden kann. Die Aufbereitung ist aber unwirtschaftlich, solange die Nachfrage fehlt. Es fehlen Wertschöpfungsketten, eine flächendeckende Verfügbarkeit und eine Datenbank, die bundesweit alle Anbieter von Recyclingbeton auflistet. Eine aktuelle Studie der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bestätigt, dass die Bauwirtschaft auf den von der EU geforderten Wandel zur Kreislaufwirtschaft nicht vorbereitet ist. Darin wurde die Marktfähigkeit der in der EU-Taxonomie vorgeschlagenen Circular-Economy-Kriterien anhand realer Bauprojekte untersucht. Das Ergebnis: Kein Projekt konnte als Taxonomie-konform eingestuft werden. Zudem fehlten Daten und Methoden zum zirkulären Bauen. Ein zentrales Instrument zur Schließung der Informations- und Datenlücke wird in der Einführung eines Gebäuderessourcenpasses gesehen, der jedoch weiter auf sich warten lässt.
Ein Lichtblick ist, dass es in Deutschland trotzdem einige Immobilienprojekte gibt, die zeigen, dass nach dem Abriss eines Gebäudes tatsächlich so gut wie kein Abfall mehr anfallen muss. Das neue Bürogebäude „The Cradle“ im Düsseldorfer Hafen zum Beispiel, das Ende 2022 Richtfest hatte, ist komplett nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip mit kreislauffähigen Materialien geplant und gebaut worden. Bei einem späteren Abriss kann das Gebäude zu 98 Prozent als Rohstofflager für Neubauten genutzt werden. Das ist alles digital erfasst.
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