Wie steht es um Deutschlands digitale Abhängigkeit von China?

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Die Globalisierung der Wirtschaft hat Abhängigkeiten geschaffen, die uns sowohl durch die Corona-Pandemie wie auch den Krieg in der Ukraine schmerzhaft bewusst geworden sind. Auch wenn niemand solche Ereignisse klar voraussehen kann, so zeigen sie uns jetzt mehr als deutlich, wie wichtig ein kluges Risikomanagement ist, um gefährliche Abhängigkeiten zu vermeiden – oder zumindest zu minimieren.

„Klumpenrisiken“ frühzeitig zu identifizieren und abzubauen oder zumindest zu reduzieren, ist das A und O eines guten Risikomanagements im Bankwesen, etwa beim Kauf von Aktien. Eine zu starke Fokussierung auf einzelne Werte oder Branchen erhöht das Risiko, das investierte Geld zu verlieren. Der Ansatz zur Risikovermeidung ist auch auf Unternehmen übertragbar: Wer auf einen einzigen Großkunden setzt, ist auf Gedeih und Verderb an diesen gebunden. Ein Klumpenrisiko gibt es jedoch nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen, wie wir zu Beginn des Ukraine-Krieges bitter erfahren haben. Bei den Gasimporten war die Abhängigkeit Deutschlands von Russland mit 55 Prozent viel zu hoch – ganz egal wie unwahrscheinlich es damals erschien, dass Russland jemals seine Lieferungen einstellt. Allein die Tatsache, dass dieses Szenario möglich ist, wäre Grund genug gewesen, sich nie in eine solche Abhängigkeit zu begeben. Davon mal abgesehen, gab es schon vor dem Krieg genügend warnende Stimmen, für die ein solches Szenario gar nicht so unwahrscheinlich war. Zum guten Risikomanagement gehört es deshalb, auch vermeintlich unwahrscheinliche Ereignisse einzubeziehen. Insbesondere dann, wenn solch weitreichende Folgen haben können wie eine weltweite Pandemie oder ein Krieg an Europas Grenzen.

Wie abhängig ist Deutschland von China?

Der größte Handelspartner von Deutschland ist seit 2016 die Volksrepublik China, wenn man den Gesamtumsatz von Ex- und Importen (246 Milliarden Euro) betrachtet. Das sieht zunächst nach viel aus. Dennoch ist die Abhängigkeit bei weitem nicht so groß wie die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gasimporten. Der Anteil Chinas am gesamten Handel Deutschlands (Ex- und Importe) betrug im Jahr 2021 „nur“ 9,5 Prozent – auf den ersten Blick kein großes Klumpenrisiko. Dennoch führten in letzter Zeit Störungen der Lieferketten und die Verteuerung der Frachtkosten bei Produkten, die Deutschland ausschließlich aus China bezieht, immer wieder zu erheblichen Folgeauswirkungen. Denn die aus China importierten Produkte dienen oft als Vorprodukte bzw. Komponenten für komplexere Produkte – zum Beispiel Haushaltsgeräte oder Autos, deren Weiterverarbeitung ins Stocken geriet. So potenziert sich das Risiko und greift auf die gesamte deutsche Wirtschaft über.

Technologische Abhängigkeit

Technologische Abhängigkeiten zeigen sich nicht unbedingt in Handelsbilanzen. Ein Beispiel dafür ist die die Solarindustrie. Deutschland war hier einst Technologieführer. Das globale Zentrum für die Produktion von Photovoltaik-Produkten ist heute aber ganz klar China. Experten schätzen, dass 60 bis 70 Prozent der weltweit eingesetzten Solarmodule aus China stammen. Zwar gibt es noch einige deutsche Firmen wie SMA Solar, Fronius und Q-Cells, die Solaranlagen produzieren und weltweit verkaufen. Doch wesentliche Komponenten, die sie dabei verwenden, wurden ebenfalls in China gefertigt. Ganz ähnlich sieht es bei Lithium-Ionen-Akkus für Elektrofahrzeuge und portable Elektronik aus. Und es gibt eine Vielzahl weiterer Produkte – Medikamente, Haushaltswaren, Unterhaltungselektronik, Kleidung und Textilien – die ganz oder teilweise in China gefertigt werden. Auch hier: Ein immer größerer Teil der Wertschöpfung findet in China statt.

Spieß umgedreht: Spitzentechnologie aus China

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen es sich bei chinesischen Produkten zumeist um Kopien westlicher Produkte handelte. Mittlerweile entstehen in China selbst viele Schlüsseltechnologien der Zukunft – zum Beispiel in den Bereichen Telekommunikation, Chipfertigung und Künstliche Intelligenz. Damit wird China immer unabhängiger von westlicher Technologie und zum harten Wettwerber auf den internationalen Märkten. Solange der Westen technologisch führend war, konnte er in China billig die benötigten Komponenten kaufen und sie zu komplexeren Produkten veredeln. Jetzt droht sich der Spieß umzudrehen, weil wir zunehmend abhängiger von chinesischer Spitzentechnologie werden.

In den USA hat die Politik diese Entwicklung schon vor Jahren erkannt und begonnen umzusteuern. Heimische Technologieunternehmen werden massiv gefördert und die kritische Infrastruktur besonders geschützt. So wurde bereits 2019 Huawei auf eine Liste von Unternehmen gesetzt, die Amerikas nationale Sicherheit bedrohen. In Deutschland konnte sich die Regierung zu so einem Schritt nicht durchringen. Sie empfiehlt lediglich, Produkte chinesischer Unternehmen in sicherheitsrelevanten Bereichen wie beim 5G-Netzausbau nicht einzusetzen. Ein explizites Verbot gibt es also nicht, weshalb Huawei-Produkte weiterhin auch dort eingesetzt werden.

Deutschland auf den hinteren Plätzen

Laut Maximilian Mayer von der Universität Bonn haben Deutschland und Europa die Konsequenzen ihrer digitalen Abhängigkeit kaum erkannt. Zusammen mit seinem Kollegen Yen-Chi Lu hat er einen Index erstellt, der den Grad der Abhängigkeit demonstriert: Deutschland liegt auf einer Skala von 0 bis 1 mit 0,82 im hinteren Drittel der untersuchten Staaten und ist somit extrem abhängig. China selbst ist sehr viel unabhängiger als wir und liegt mit einem Wert von 0,58 hinter den USA, die mit 0,47 den niedrigsten Wert aufweisen. Völlige Unabhängigkeit kann es nicht geben und ist natürlich auch nicht das Ziel. Deutschland wird aber sogar im Bereich der digitalen Innovationen immer abhängiger. So gibt es zum Beispiel kaum noch Patente aus Deutschland in diesem so zukunftsweisenden Feld.

Sicherheitsexperten machen sich zunehmend Sorgen. Der russische Angriffskrieg hat jedem gezeigt, wie erpressbar wir durch die Gasabhängigkeit geworden sind. Der Ausbau unseres 5G-Netzes unter Beteiligung des chinesischen Tech-Giganten Huawei erinnert somit in fataler Weise an den geplanten Ausbau der russischen Gaspipeline Nord-Stream II. Doch wieder hören wir nicht auf die Warnungen. Wir gehen nicht auf Distanz zu Huawei, wie es viele unserer europäischen Nachbarn wie Frankreich und Großbritannien oder auch die USA es schon getan haben.

Gegenstrategie: Was plant Europa?

In der Europäischen Kommission gibt es eine Reihe von Ideen und konkreten Gesetzesvorhaben, die Europas digitale Unabhängigkeit stärken sollen. Expertinnen und Experten bewerten sie als noch zu zaghaft und wenig durchdacht. Die neuesten Bemühungen etwa, wie sie im „Digitalen Kompass 2030“ dargelegt sind, konzentrieren sich laut Jan-Peter Kleinhans und Julia Hess von der Stiftung Neue Verantwortung in erster Linie auf die Stärkung der Kapazitäten in den Bereichen Chipdesign und Front-End-Fertigung – die ersten zwei der drei Halbleiterproduktionsschritte. Dies sei aber nicht der einzige Prozessschritt, bei dem Europa in hohem Maße abhängig ist. Der dritte Schritt in der Halbleiterfertigung, also Montage, Test und Verpackung (ATP), der auch als „Back-End“ bezeichnet wird, fände zu wenig Aufmerksamkeit bei den europäischen politischen Entscheidungsträgern. Der gravierende Mangel an Back-End-Fabriken in Europa schade aber schon heute der Sicherheit der Mitgliedstaaten und der langfristigen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit.

Fazit:

Die jüngsten Krisen haben gezeigt, wie gefährlich globale Abhängigkeiten sind. Einige Länder haben daraus gelernt und bereits erste Konsequenzen gezogen. In Deutschland scheint dieser Lernprozess noch nicht abgeschlossen zu sein. Zwar konnte die Abhängigkeit von russischem Gas im Rekordtempo reduziert werden, aber im Bereich des Digitalen haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns. Zu lange haben die Politik, aber auch Unternehmenslenker und -lenkerinnen den russischen Autokraten Putin verharmlos und uns somit in falscher Sicherheit gewiegt. Jetzt droht das Gleiche im Hinblick auf den chinesischen Machthaber Xi Jinping, der sich als mindestens genauso unberechenbar und skrupellos herausstellen könnte. „Wenn Automobilhersteller wie Volkswagen denken, ohne den chinesischen Markt nicht überleben zu können, dann hat man längst schon den falschen Weg eingeschlagen. Wenn die Deutsche Telekom davon ausgeht, ohne Huawei kein 5G-Netz in Deutschland aufbauen zu können, ist auch das ein Irrweg, für den wir vielleicht schon bald teuer bezahlen müssen. Wir können nur hoffen, dass unsere Politiker und Politikerinnen das endlich verstehen“, sagt AGEV-Geschäftsführer Franz J. Grömping.