„Wir brauchen mehr Mut bei politischen Entscheidungen“

Der Club of Rome ist seit Jahrzehnten bekannt für seine eindringlichen Warnungen vor einer Überforderung unseres Planeten. Jetzt haben der renommierte Thinktank und das Wuppertaler Institut einen Leitfaden für Deutschlands Zukunft vorgelegt. „Earth4All“ enthält konkrete Vorschläge, was aus Sicht der Experten zu tun ist. Über einige Aspekte sprechen wir mit Dr. Monika Dittrich. 

Dr. Monika Dittrich (Bildquelle: Wuppertal Institut)

AGEV: Im Rahmen ihrer Initiative „Earth4All“ fordern der Club of Rome und das Wuppertal Institut einen wirtschaftlichen Systemwandel. Wie soll ein neues Wirtschaftsparadigma in Deutschland aussehen, und warum brauchen wir es?

Dr. Monika Dittrich: Derzeit haben wir eine Ökonomie, in der Gewinne überwiegend von wenigen abgeschöpft und von vielen bezahlt werden. Das ist ungerecht und das wird auch von vielen Menschen so wahrgenommen. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das die planetaren Grenzen respektiert, das dafür sorgt, dass unsere Lebensgrundlagen nicht zerstört, sondern erhalten werden. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das allen Menschen eine Grundlage gibt, ein würdiges Leben führen zu können. Das nennen wir Wohlergehensökonomie.

AGEV: Kann die Politik weiter wie bisher die einzelnen Probleme isoliert angehen oder braucht es einen radikalen integrierten Ansatz? Was ist Ihr Appell an die nächste Bundesregierung?

Dr. Monika Dittrich: Verschiedene Bereiche gleichzeitig zu transformieren ist einfacher als jeden einzeln: Die fünf Kehrtwenden (Anm. d. Red.: Armutskehrtwende, Ungleichheitskehrtwende, Ermächtigungskehrtwende, Ernährungskehrtwende, Energiekehrtwende) beeinflussen sich gegenseitig. Es ist leichter, effektiver, kostengünstiger und erfolgversprechender, sie gemeinsam und zügig umzusetzen statt nacheinander. Dies erfordert Politikintegration statt isolierter Maßnahmen einzelner Ressorts sowie Zusammenarbeit statt Abschottung – nur so lassen sich Synergieeffekte heben.

AGEV: Eine zentrale Forderung ist der Übergang von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft. Warum brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft und wie weit sind wir in Deutschland mit der Umsetzung?

Dr. Monika Dittrich: Derzeit übernutzen wir unsere natürliche Lebensgrundlage. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass die meisten Ressourcen linear genutzt werden: der Natur entnehmen, verarbeiten, nutzen, wegwerfen. Das müssen wir ändern in eine umfängliche Kreislaufwirtschaft, in der weit möglich Ressourcen – vor allem Rohstoffe auch in Form von Produkten – wieder genutzt werden. Hinzu kommt, dass die Gewinne, die durch die Natur zur Verfügung gestellt werden, überwiegend von wenigen abgeschöpft werden.

Es sollte dabei klar sein: Wir Menschen brauchen Rohstoffe für unser Leben. Das geht nicht nur uns so, sondern allen Menschen weltweit. Mit steigender Rohstoffnutzung steigt jedoch auch der Druck auf die Umwelt, denn die Entnahme von Rohstoffen, die ersten Verarbeitungsstufen und die Entsorgung sind im Allgemeinen mit besonders vielen Umweltbelastungen verbunden. Wir können die Umweltbelastung insgesamt senken, wenn wir Rohstoffe in Form von Produkten und Gütern länger nutzen, das heißt im Wirtschaftskreislauf halten. Derzeit sind etwa 14 Prozent aller genutzten Rohstoffe Sekundärrohstoffe, hier ist sehr viel Luft nach oben. Das können wir unter anderem über die Erhöhung der Langlebigkeit von Produkten, mehr Reparatur und mehr Recycling erreichen.

AGEV: Was halten Sie vom Klimageld zur Kompensation steigender CO2-Preise?

Dr. Monika Dittrich: Ein Klimageld, das die Einnahmen aus der CO2-Besteuerung einfach nur als Kopfpauschale auszahlt, hat schon eine lenkende Wirkung. Denn Reiche haben durch ihren Lebensstil einen höheren CO2-Verbrauch, sie bekommen aber nur genauso viel ausgezahlt wie Menschen mit einem sehr sparsamen Lebenswandel. Man könnte beim Klimaschutz noch mehr erreichen, wenn nur ein Teil der Einnahmen pro Kopf ausgeschüttet würde und ein anderer Teil in gezielte Förderprogramme fließen würde. Wir nennen dies Klimageld Plus: Von den Förderprogrammen könnten dann auch gezielt Energiesparförderungen für kleine und mittlere Unternehmen, für besonders betroffene Branchen und auch gezielt für arme Haushalte verwendet werden. Während „die Ausschüttung mit der Gießkanne“ vor allem der Akzeptanz dient, soll das Klimageld Plus auch gezielt Gruppen ansprechen, die weniger Möglichkeiten haben, sich aus eigener Kraft an steigende Energiepreise anzupassen. Ergänzend zur Pro-Kopf-Ausschüttung sind Förderansätze erforderlich, die gezielt auch Transformationsprozesse für Zielgruppen unterstützen, denen es an finanzieller Substanz fehlt.

AGEV: Die Energiewende erfordert massive Investitionen in erneuerbare Energien, Netze und Speichertechnologien. Welche Möglichkeiten sehen Sie bei Steuern und Finanzierungsmodellen, um die Transformation zu beschleunigen?

Dr. Monika Dittrich: Mutige Zukunftsinvestitionen sind durchaus finanzierbar: Ein integrativer, ganzheitlicher Transformationsansatz erfordert erhebliche Zukunftsinvestitionen. Ein konsequenter Abbau klimaschädlicher Subventionen, ein progressiver Finanzierungsbeitrag der Reichen als auch Reformen der Staatsfinanzen wie die Anpassung der Schuldenbremse machen dafür Gelder frei, sind sozial gerecht und wenden zugleich exorbitante zukünftige Schadens- und Anpassungskosten ab.

AGEV: Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen Deutschlands?

Dr. Monika Dittrich: Digitalisierung kann viele positive Auswirkungen haben: Sie kann zum Beispiel über einen digitalen Produktpass helfen, Informationen über Güter so weiterzugeben, dass am Lebensende möglichst viele Bauteile oder Rohstoffe wiedergewonnen werden können. Gleichzeitig muss aber darauf geachtet werden, dass der Aufwand für die digitalen Lösungen, z. B. der Energieaufwand, nicht die Vorteile überwiegt.

AGEV: Welche Rolle spielen Startups und Innovationszentren bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen?

Dr. Monika Dittrich: Sie können eine wichtige Rolle spielen, wenn sie richtig ausgerichtet sind. Nicht jede Innovation fördert das Wohlergehen der meisten Menschen. Gleichzeitig wird es viele neue Ideen brauchen, dazu gehören aber neben Innovationen auch Exnovationen, also das intelligente „Weglassen“. Wir fordern die gezielte Förderung von Wirtschaftsformen, die nicht primär gewinnorientiert sind und nicht immer mehr Ungleichheit produzieren: Gewerkschaften, Social Enterprise, Verantwortungseigentum. Startups mit diesem Selbstverständnis können wir nie zu viele haben.

AGEV: Danke für das Gespräch.

Über Dr. Monika Dietrich

Dr. rer.nat. Monika Dittrich arbeitet als Leiterin der Forschungsgruppe Zirkuläre Systeme in der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut. Ihre Forschungsgebiete sind Rohstoffnutzung innerhalb der planetaren Grenzen, Stoffstromanalysen und ökonomie-weite Materialflussrechnungen, Szenarien zum zukünftigen Rohstoffbedarf und Circular Economy.