Editorial AGEV im Dialog Juni 2025

Die Länder Nordeuropas sind Vorbilder in vielen Lebensbereichen. Sie gehören zu den innovativsten Regionen der Welt, die Gleichheit der Einkommen ist nirgendwo größer, der Sozialstaat ist finanziell gut aufgestellt und klug ausgestaltet, fragwürdiger Digitalunterricht wird wieder abgeschafft – Skandinavien ist der Zeit stets voraus.
80 Prozent (!) der Skandinavier heizen mit Wärmepumpen, und trotzdem sind die Finnen das glücklichste Volk der Welt. Wie geht das, wo doch im wesentlich wärmeren Deutschland diese Zukunftstechnologie durch eine unselige Komplizenschaft aus Profiteuren der fossilen Industrie und antisozialen Medien inklusive der Zeitung mit den großen Buchstaben verteufelt wird? Deutschland zahlt lieber 69.000 Millionen Euro pro Jahr (2024) für den Import von Öl, Kohle und Gas.
2027, das ist nicht mehr lang hin, werden der Wärme- und Verkehrssektor in den europäischen Emissionshandel einbezogen. Nach derzeitigem Preis der Zertifikate führt das zu einem Aufschlag von 19 Ct. auf den Liter Benzin und 1,5 Ct. auf die KWh Gas. Rechnen Sie das lieber nicht nach: Es geht um mehrere hundert Euro Mehrkosten pro Haushalt und Jahr.
Das ist seit vielen Jahren bekannt. Ich habe trotzdem Verständnis für die Politiker, dass sie sich nicht trauen, offen darüber zu reden, denn das käme demoskopischem Selbstmord gleich. Habeck hat es trotzdem versucht, das Ergebnis ist bekannt. Aber ich sehe auch schon die Schlagzeilen im Dezember nächsten Jahres: „Benzinwahnsinn“ oder „Gaspreishammer“ – natürlich von den gleichen Portalen und Gazetten gebrüllt, die vor drei Jahren den „Heizungshammer“ anprangerten. Mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel sollte das auch von der AGEV geforderte Klimageld finanziert werden und mit einer fixen Summe pro Kopf und Monat einen fairen Ausgleich schaffen, und Deutschland bekäme ein kostenloses Konjunkturprogramm obendrauf. Daraus wird auf absehbare Zeit leider nichts: Was die Ampel nicht auf die Beine stellen konnte, wird von Schwarz-Rot nicht einmal angefasst.
Anstatt jetzt im Ingenieursland Deutschland Vollgas für die Erneuerbaren Energien zu geben, wie es die Skandinavier, aber vor allem die Chinesen tun, will die neue Regierung tatsächlich Gelder aus dem Klima- und Transformationsfonds für die Gasspeicherumlage einsetzen und mit der fossilen Industrie Hand in Hand in die energiepolitische Steinzeit zurück.
Bei der AGEV lesen Sie seit Jahren im Newsletter von den großartigen Ideen deutscher Startups, aber es passiert viel zu wenig. Dabei brennt die Welt im wahrsten Sinne des Wortes, und die Emissionen müssen eher heute als morgen auf null.
0,89 Prozent – vielleicht steckt in dieser kleinen Zahl der größte Rückschlag für unser Europa, das gerade im Begriff war, sich im Trump-Zeitalter auf seine Stärken zu besinnen und seine demokratische Politik gegen die Autokraten in den USA und die Diktatur in China zu beleben. 0,89 Prozentpunkte – so klein, aber fatal, war der Vorsprung des rechtsnationalen Nawrocki bei der Präsidentenwahl kürzlich in Polen. Schon immer haben solche Zufälligkeiten den Lauf der Welt viel stärker beeinflusst, als sie es eigentlich dürften. Die nach den Jahren der Lethargie zuletzt so hoffnungsvolle Koalition der großen europäischen Länder, namentlich durch Merz, Macron, Starmer, Tusk und sogar Meloni initiiert, kann erheblichen Schaden nehmen, wenn Nawrocki die gemeinsamen Positionen hintertreiben wird, woran er bisher keinen Zweifel gelassen hat. Es scheint sich immer mehr herauszukristallisieren, dass sich nach dem schlechten Vorbild des US-Wahlergebnisses, das die Bildungsferne von fast 80 Millionen US-Amerikanern entlarvt, die Wähler eines Landes in zwei großen unversöhnlichen Blöcken gegenüberstehen. Die Populisten schränken dabei Forschung und Wissenschaft ein, um in ihrem Lager der Uninformierten ihre einfachen Botschaften leichter unterbringen zu können.
Bildung und Wissenschaft sind Störenfriede in Autokratien. In einer der stärksten Wirtschaftsregionen der Welt, unserem wunderbaren Europa, dessen Einigung die vielleicht größte politische Leistung des 20. Jahrhunderts war, sind sie hingegen herzlich willkommen. Halten wir ihnen die Türen auf, wünscht sich
Ihr
Franz J. Grömping
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