Editorial AGEV im Dialog Februar 2024
In den letzten drei Jahren fiel der Ausblick der Wirtschaftsverbände zum Jahreswechsel jedes Mal pessimistisch aus. Auch in diesem Jahr ist das nicht anders. Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gehen nur neun von 47 Verbänden von Wachstum aus. 23 Verbände prognostizieren eine schrumpfende Produktion. „Selten war die Lage so düster wie derzeit, und selten war die Prognose so pessimistisch“, lautet das Fazit der IW-Befragung. Doch letztlich hat niemand eine Glaskugel. Das zeigte sich sehr deutlich bei den Prognosen für 2023. Viele Analysten – neben Wall-Street-Banken auch die Deutsche Bank – sagten einen Mega-Crash für 2023 voraus. Von massiven Einbrüchen der globalen Aktienkurse und einer schweren Rezession in den USA und Europa war überall die Rede. Heute sind wir klüger. Nichts davon ist eingetreten. 2023 war eines der besten Börsenjahre und die US-Wirtschaft zeigte sich mit einem Wachstum von 4,9 Prozent im dritten Quartal enorm robust.
Deshalb frage ich mich: Ist dieser anhaltende Pessimismus wirklich gerechtfertigt? Kommt der Mega-Crash nur ein Jahr zeitversetzt? Oder stimmt nach diesen ganzen Krisen etwas nicht mit unserem Blick auf die Realität? Ich tendiere zu letzterer Erklärung. Aber warum sollten wir optimistisch sein, wenn in Europa und im Nahen Osten immer noch Krieg herrscht? Überall drohen weitere Konflikte auszubrechen, wie zwischen China und Taiwan oder Nord- und Südkorea. Und die globale Erderwärmung steht wie ein Damoklesschwert ohnehin über allem. Das ist zwar alles richtig, aber die Frage ist doch, ob diese Krisen zwangsläufig immer schlimmer werden müssen, oder ob der Druck inzwischen so groß geworden ist, dass auch die Chance auf Lösungen ebenfalls wahrscheinlicher wird. Der Philosoph Martin Heidegger hat es so ausgedrückt: „Wo die Gefahr wächst, wächst auch das Rettende.“
Vielleicht ist es nur Wunschdenken, aber es könnte doch sein, dass im Jahr 2024 so manche Krise gelöst wird. Die Börse jedenfalls hat mit ihrem jüngsten Anstieg die Aussicht auf Lösungen bereits vorweggenommen. Auch der US-Investmentanalyst und Milliardär Ken Fischer hat jüngst in seinem Ausblick auf 2024 ganz andere Töne angeschlagen als die vielen Crash-Propheten, die wieder Hochkonjunktur haben. Für ihn sind wir bereits 2023 in eine Phase der Normalität eingetreten. Die Jahre davor seien absolute Ausreißer gewesen. 2024 wird sich dieser Trend zu mehr Normalität seiner Meinung nach fortsetzen und trotz schwelender Brandherde eher wieder ein gutes Aktienjahr werden. Tatsächlich gibt es auch positive Nachrichten. Die Inflation ist stark zurückgegangen. Gleiches gilt für die Zinsen und die Energiepreise. Zwar gibt es in Deutschland einige Sondereffekte, die unser Land zum Schlusslicht der weltweit positiven Entwicklung machen, aber auch hier besteht zumindest die Chance, dass Probleme gelöst werden. Allein schon deshalb, weil in Deutschland der Druck auf die Politik wachsen wird, die Probleme anzugehen.
Viele Unternehmen fahren derzeit mit angezogener Handbremse. Das liegt vor allem an den schlechten Rahmenbedingungen hierzulande und der daraus erwachsenden Unsicherheit. Letztlich ist es das Ergebnis einer Politik, die versucht, jedes noch so kleine Detail zu regeln und den freien Markt durch eine Art „Überstaat“ zu ersetzen. Der Staat kann die anstehenden Transformationsaufgaben aber nicht bewältigen, indem er den Bürgerinnen und Bürgern verspricht, jedes Problem für sie zu lösen. Was daraus folgt, ist eine Mentalität, bei der sich die Menschen auf den Staat verlassen, ohne je darüber nachzudenken, wie sie ihren Beitrag leisten können.
Ich bin sicher, dass unter der Decke der gegenwärtigen Lähmung ein enormes Potenzial schlummert, das nur darauf wartet, gehoben zu werden. Das war nach dem zweiten Weltkrieg schon einmal so. Nachdem Ludwig Erhard mit seinen damals umstrittenen Reformen die Fesseln der Wirtschaft gelöst hatte, begann quasi über Nacht ein Wirtschaftswunder und es wurde der Grundstein für einen Wohlstand gelegt, von dem wir heute noch zehren. Dieser Ansatz war von der Idee geprägt, dass die meisten Menschen das Richtige tun, wenn man sie nur lässt. Dieses Denken ist heute fast verschwunden. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass wir in Deutschland in ganz vielen Bereichen umdenken müssen. Das heißt, wir brauchen mehr Unternehmergeist und Optimismus und weniger Einschüchterung und Bevormundung.
Ihr
Christoph Steinhauer, Redaktion AGEV im Dialog
Wir sind gespannt auf Ihre Meinung:
dialog@agev.de
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