Retouren-Boom – noch keine Wende in Sicht

13. September 2022


Deutschland ist Europameister bei den Retouren – jedes vierte Paket geht laut einer aktuellen Studie der Uni Bamberg zurück an den Händler. Wie sich Müllberge und Klimabelastung reduzieren lassen, wird kontrovers diskutiert. Richtig vorwärts geht es nicht. Ein Update.

  • Eine Transparenzpflicht für Händler soll die Datenlage zu den Retouren verbessern
  • Erste Unternehmen führen eine Rücksendegebühr ein
  • AGEV fordert die Politik zum Handeln auf

Vor allem zwei zentrale Hebel stehen im Fokus der politischen Diskussionen: die Vernichtung von Retouren zu verbieten sowie eine gesetzlich vorgeschriebene Rücksendegebühr einzuführen. Für Ersteres wurde im Oktober 2020 das Kreislaufwirtschaftsgesetz novelliert. Es soll Produzenten und Händler dazu verpflichten, Retouren und nicht verkaufte Neuware nur in Ausnahmefällen zu vernichten. Doch ein klares Verbot sieht die mit dem Gesetz verbundene Obhutspflicht derzeit noch nicht vor. Was die Händler umsetzen, geschieht auf freiwilliger Basis. Bundesumweltministerin Steffi Lemke von Bündnis 90/Die Grünen will zunächst mithilfe einer Transparenzpflicht für Händler eine verlässliche Datenlage über das Ausmaß entsorgter Ware schaffen. Erst dann zeige sich, inwieweit ein Vernichtungsverbot sinnvoll ist. Der Händlerbund kritisiert den Ansatz der bürokratischen Berichtspflicht, weil er in den größten Teilen des Onlinehandels gar keine Wegwerfmentalität erkennt. Laut einer Logistikstudie des Verbands hätten 64 Prozent der befragten Händler noch nie Waren vernichtet. Zu einem ähnlichen Fazit kommt die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg, räumt aber ein, dass selbst eine geringe Quote immer noch viele Millionen unnötig vernichteter Wirtschaftsgüter bedeuten würde – eine Zahl, die sich nicht kleinreden lässt. Eine Lösung mit mehr Effekt sehen Interessenvertreter des Versandhandels darin, statt der Einführung bürokratischer Pflichten lieber Sachspenden von B-Ware von der Umsatzsteuerpflicht zu befreien. Doch hier tut sich politisch derzeit nichts.

Hebel Rücksendegebühr

Die Masse der Retouren über feste Gebühren zu senken, wird ebenfalls nicht erst seit gestern diskutiert. Auch die E-Commerce-Händler liebäugeln immer wieder damit, weil die Retouren mit enormen Handling-Kosten verbunden sind. Das schlägt hierzulande besonders zu Buche, denn Deutschland ist bei den Retouren Europameister – jede vierte Sendung geht zurück. Die ersten Unternehmen haben deswegen in diesem Jahr den Schritt gemacht: H&M und Zara zum Beispiel haben eine Rücksendegebühr eingeführt. Sie begründen das nicht nur mit wachsenden Retourenquoten und Kostensteigerungen für Transport und Verpackung, sondern auch mit mehr Nachhaltigkeit: Beide Händler ermöglichen eine kostenlose Rücksendung über ihre stationären Geschäfte. Marco Atzberger vom Kölner Handelsforschungsinstituts EHI spricht gegenüber der Süddeutschen Zeitung vom „richtigen Weg“. Auch Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg, begrüßt die Gebühren. Doch dass nun viele weitere Händler diesen Weg einschlagen werden, ist kaum zu erwarten, solange Big Player wie Amazon, Zalando oder Otto die kostenfreie Variante weiterhin als Wettbewerbsvorteil nutzen wollen.
Es ist also die Politik gefragt. Die Bamberger Retourenforscher haben eine gesetzlich vorgeschriebene Rücksendegebühr von 2,95 Euro ins Gespräch gebracht. Ihrer Analyse zufolge ließe sich damit die Zahl der Retouren um 16 Prozent senken, was den E-Commerce „grüner und gerechter“ machen würde. Angesichts der Masse der Artikel, die im Jahr 2021 laut der aktuellen Untersuchung der Bamberger Forscher zurückgeschickt wurde – 1,3 Milliarden Artikel – wäre das ein richtiger Schritt. Denn der ökologische Fußabdruck, den jede einzelne Retoure verursacht, ist nicht zu unterschätzen. Sie verursacht mit weiteren Transporten und neuem Verpackungsaufwand einen zusätzlichen CO2-Ausstoß. Die Bamberger Forscher schätzen zudem, dass die Kosten für eine Rücksendung im Schnitt bei knapp sieben Euro liegt, was vor allem kleinere Händler belastet.

Eine verpflichtende Gebühr durch den Gesetzgeber scheint derzeit in weiter Ferne, da hierfür zwingend EU-Recht geändert werden müsste. Aktuell sind dafür jedoch keine Anzeichen oder Mehrheiten sichtbar.

„Die AGEV unterstützt eine verpflichtende Rücksendegebühr als hilfreichen Weg aus dem Retouren-Dilemma und fordert die Politik auf, zu handeln. Bereits vor Jahren haben wir diesen Vorschlag in die politische Diskussion gebracht und werden ihn jetzt unter neuen politischen Rahmenbedingungen erneuern“, sagt AGEV-Geschäftsführer Franz J. Grömping.

Deutschland ist bei den Retouren Europameister