Editorial AGEV im Dialog Februar 2025

AGEV-Geschäftsführer Fanz J. Grömping

Im Frühjahr 2016 war ich Teilnehmer eines Workshops zur „Ökonomisierung der Demokratie“, der von einem Schüler des großartigen Reinhard Selten, dem einzigen deutschen Wirtschaftsnobelpreisträger, geleitet wurde. Er malte eine Zukunftsvision mit Donald Trump als Präsidenten der USA aus, wir Teilnehmer lachten, so unglaubwürdig war das. Später blieb uns selbiges im Halse stecken. Er fabulierte weiter von zunehmenden Wahlerfolgen der AfD bis zum Jahr 2025, in dem nur noch eine Vierfach-Koalition zwischen CDU, SPD, Grünen und FDP ausreichen werde, um eine Mehrheit im demokratischen Raum zu bekommen. Diese sei dann von weichgespülten Kompromissen so gekennzeichnet, dass sich kein Wähler mehr damit identifizieren könne. Das politische Leben käme zum Erliegen, von Agonie und Wählerfrust gekennzeichnet; der Zustrom bei den Populisten setze sich immer weiter fort, angefeuert durch Hass und Hetze in den antisozialen Medien.

Endlich ergriffen die Menschen die Initiative, gründeten eine neue Partei mit dem bezeichnenden Namen „Sisyphos“, die sich ausschließlich um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger kümmert und die es schafft, 2029 die AfD in die Schranken zu verweisen und die Demokratie zurückzuerobern. Die visionäre Kraft des Dozenten wirkt aus heutiger Sicht schier überwältigend. (Zur Wahlempfehlung der AGEV für die anstehende Bundestagswahl lesen Sie unseren Einwurf.)

Im Winter 2016/17 schloss sich an diesen Workshop eine Seminarreihe beim gleichen Dozenten an, von der ich mehr profitiert habe als vom gesamten BWL-Studium, weil sie die Erkenntnisse und Weisheiten der herkömmlichen Ökonomik gegen den Strich bürstete und infrage stellte. Ich bin sicher, dass die AGEV einige Themen, bei denen sie Vorreiterin wurde, diesen Veranstaltungen zu verdanken hat: Recycling, Energiewende, Erbschaftsteuer, wahre Preise, Cybercrime u. v. m.

Vielleicht bieten damalige Ideen auch einen Weg aus der vergifteten Situation, in der wir uns aktuell befinden. Bürgerräte haben sich in den letzten Jahren als ein erstaunlich erfolgreiches Institut für politische Projekte etabliert. Dabei diskutieren zufällig ausgewählte Bürger an einem Wochenende unter wissenschaftlicher Moderation ein politisches Thema und entwickeln daraus einen Vorschlag für die handelnde Politik. Die Teilnehmer haben nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren, man darf nur einmal dabei sein. Die Parteien sind der Idee zugewandt, sich wie üblich aber uneins, welches Gewicht den Ergebnissen der Räte zugemessen werden soll – immerhin, der Anfang ist gemacht.

Die AGEV würde sich gern an die Spitze auch dieser Bewegung setzen, wenn ihre Mitglieder das unterstützen. Was halten Sie von Bürgerräten? Sind sie ein vielversprechender Weg? Haben Sie selbst vielleicht schon Erfahrungen damit gemacht? Schreiben Sie uns doch formlos Ihre Gedanken und Anregungen dazu unter dialog@agev.de.

Dann freut sich nicht nur Ihr

 

Franz J. Grömping